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Unterwegs im Namen des Herrn

Unterwegs im Namen des Herrn

Titel: Unterwegs im Namen des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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wegen seiner Messe? Ist der verrückt? Ich will schlafen! Ich kann sowieso nicht schlafen, weil du schnarchst wie ein Pferd, aber das ist wasanderes! Wie kommt der bitte auf die Idee, meine Tür einzuschlagen, damit ich zur Messe gehe?«
    »Er wollte eben höflich sein.«
    »Er wollte WAS ? Er wollte HÖFLICH …«
    »Er wollte eben vermeiden, dass du die Messe versäumst und traurig bist.«
    »Dass ich TRAURIG … Habe ich ihn darum gebeten? Habe ich was von Weckdienst gesagt?«
    Ich gehe duschen. Als ich zurückkomme, sitzt er auf dem Bett und lacht sich krumm, weil er ein besonders unvorteilhaftes Foto von mir vor sich auf dem Bildschirm hat. Ich bin offensichtlich noch nicht ganz bei Verstand, denn ich posiere in Unterhose und Bodybuilder-Pose für ihn. Das Ergebnis ist noch weniger zu entschuldigen als das Foto auf seinem Notebook. Rasch ziehe ich mich an. Ingo verschwindet im Bad, und ich mache mich auf die Suche nach einem etwas handfesteren Frühstück.
    Kaum blinzle ich in das helle Licht auf dem Flur, bemerke ich, dass etwas nicht stimmt. Still ist es, denke ich mir, da sehe ich, dass alle Zimmertüren offenstehen. Ich schaue in das erste Zimmer – verlassen. Ich schaue ins zweite – verlassen. Das dritte, vierte, fünfte, alle leer. Gebrauchte Bettwäsche liegt auf dem Boden, die Mülleimer quellen über.
    Aus dem sechsten Zimmer dringen Wisch- und Platschgeräusche. Ich treffe Frau Ljudmila beim Putzen an. Sie lächelt mir zu. Ich lächle unsicher zurück, drehe auf dem Absatz um und beeile mich, in unser Zimmer zurückzukommen.
    »Ingo!«
    »Waff?«
    »Alle sind weg!«
    Er steckt den Kopf aus dem Bad, der Mund eingeschäumt, die Zahnbürste auf seinen Zähnen vibrierend.
    »Waff iff?«
    »Wir sind die einzigen, die noch hier sind! Und Frau Ljudmila putzt!«
    Er spuckt den Schaum in das Waschbecken, spült den Mund aus, trocknet sich ab und kommt heraus.
    »Jetzt noch einmal.«
    »Das Gepäck ist auch weg. Wird wohl schon im Bus sein.«
    »Ist der Bus noch da?«
    »Gute Frage. Keine Ahnung.«
    Ingo nimmt die Sache in die Hand. Fünf Minuten später kehrt er zurück mit der Mitteilung, der Bus stünde nach wie vor hinter dem Haus, alle anderen hätten ihr Gepäck bereits eingeladen und seien bei der Messe, wir dürften unsere Koffer jedoch gern hierlassen bis nach unserem Frühstück, das wir um die Ecke einnehmen könnten, weil es im Haus nichts mehr gibt.
    Aus mangelnder Abenteuerlust lassen wir die besonders uneinladend aussehenden Kneipen links liegen und setzen uns wieder auf die Terrasse des Restoran Pivnica. Viel ist nicht los, alles scheint bei der Messe zu sein. Ein anderer Kellner kommt, weitaus freundlicher als der vom Vortag, und er zuckt mit keiner Wimper, als Ingo Kakao und ein großes Omelette für vier Personen bestellt, ich hingegen Rührei, Kaffee, Mineralwasser und eine Pizzaschnitte.
    Schon jetzt ist es so heiß, dass sich die wenigen Menschen an den Tischen ringsum mit Eiskarten Luft zufächeln. Vorhergesagt sind bis zu 39 Grad. Ich halte nichts von übertriebenen Anstandsbekundungen und habe meinHemd bis zum Bauchnabel aufgeknöpft. Ich weiß, dass so etwas nicht gern gesehen wird, und bei meinem Freund Habsburg zu Hause würde ich es seiner Frau zuliebe vielleicht unterlassen, aber in Straßencafés nehme ich mir alle Freiheiten, die ich brauche, sollen die Leute mich doch für einen Holzfäller halten, das ist mir völlig egal.
    Wie schon am Abend zuvor können wir von einem Moment auf den anderen eine radikale Veränderung des Stadtbilds beobachten. Plötzlich kommen Menschenströme aus der Kirche heraus und über die Hauptstraße gewälzt. Neue Gäste treten auf die Terrasse des Lokals und lassen sich neben uns nieder. Kaum jemand spricht, keiner lacht oder lächelt zumindest. Nichts in diesem Ort hat bislang einen solchen Eindruck auf mich gemacht wie das totale Fehlen jeglichen Lächelns.
    Wir sehen Mitpilger auf der Straße dahinziehen. Sie sehen uns auch. Sie schauen weg.
    Wir zahlen, gehen zurück zum Hotel, packen in aller Eile unsere Sachen zusammen, legen ein anständiges Trinkgeld auf das winzige Nachtkästchen, geben den Schlüssel ab und verabschieden uns von der netten Frau Ljudmila.
    Auf dem Parkplatz sind die meisten schon vor dem Bus versammelt. Rudi lädt unser Gepäck ein und fragt freundlich, wie die Nacht war. Der Tennislehrer wünscht uns guten Morgen, auch der Postbote, der keiner ist, nickt uns zu, der Rest der Truppe scheint auf Abstand zu gehen.
    Wir

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