Unterwegs im Namen des Herrn
scharren mit den Schuhen im Kies. Ich sehe Intschu-Tschuna, der in der Hand einen Hotdog hält, von dem Ketchup herabtropft. Jim der Amerikaner ist unrasiert und liest in einem Reiseführer, den er sich dabei mit hochgeschobener Brille knapp vor die Augen hält.
Ich bin schweißgebadet, und mir ist nun richtig schlecht. Ich überlege, ob sich vor der Abfahrt noch ein Kaffee im Pivnica ausgeht, aber genau in diesem Moment wackelt der Reiseleiter herbei, zwei hübsche junge Damen im Schlepptau, die mit nach Cenacolo fahren wollen.
Im Bus ist es angenehm kühl. Es dauert einige Zeit, bis alle ihre Plätze gefunden haben. Ich kaufe Rudi eine Dose Cola ab. Die Fundamentalistinnen schauen mich nicht an. Der Reiseleiter nimmt das Mikrophon und spricht über mich hinweg, während Rudi den Bus unter einigen Schwierigkeiten durch die enge Hotelausfahrt auf die Hauptstraße manövriert.
»Wir werden heute Zeugnisse hören. Vielleicht ist der Mario da. In Cenacolo könnts ihr auch bissl was einkaufen, aber wir halten auf dem Rückweg sowieso beim Tiberias, da kriegts ihr alles, und wenn ihr unseren Pilgerpass herzeigts, gibts dort einen Rosenkranz gratis. Also überlegts es euch.
Hier, da jetzt rechter Hand … diese Pizzeria, Tomatos heißt sie … Also ich hab ja nie Zeit, hier essen zu gehen, es gibt so viel zu organisieren … aber diese Pizzeria hier hat nach meiner Meinung das beste Preis-Leistungs-Verhältnis, und die Toilettenanlagen sind sauber und gut. Wenn ihr mal bei der Kirche aufs Klo müssts, gehts nicht zum öffentlichen Klo, da stehts nur lang an, gehts zum Tomatos. Und wenn ihr unseren Pilgerpass herzeigts, wo der Name vom Reisebüro draufsteht, kriegts ihr da zu jedem Essen einen Schnaps gratis.«
»Wow.«
Irgendjemand klatscht, ich habe Jim den Amerikaner im Verdacht, drei oder vier Leute klatschen mit, das Klatschenverebbt. Wir kommen an Tiberias vorbei, der eine Buch- und Andenkenhandlung zu sein scheint.
»Hier rechts findet heute Nachmittag der Vortrag von Schwester Annalinda Antilopa statt, merkts euch das gleich, da werden wir nicht mit dem Bus herfahren.«
Ich weiß, dass sie nicht Annalinda Antilopa heißt, aber ich kann nichts dagegen machen, ich verstehe jedes Mal Annalinda Antilopa. Nuschelt der Mann? Gut, es kann mir egal sein. Der Vortrag soll vor allem von der Beichte handeln. Ich werde natürlich hingehen, denn ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht gebeichtet und werde es auch garantiert niemals tun, weil mir das als eine viel zu anspruchslose Art erscheint, mit meinen Fehlern fertigzuwerden. Vielleicht erzählt mir die Schwester, warum sie dafür ist.
Gleich nach dem Ortsende kommen uns Kolonnen von Reisebussen entgegen, hinter deren Windschutzscheiben Bilder der Jungfrau Maria kleben, die teils so monumental sind, dass sie vom Standpunkt der Verkehrssicherheit unbedingt zu entfernen wären. Speziell hier, wo die Straße so eng ist und Rudi beim Manövrieren ziemlich ins Schwitzen gerät. Ein Bus reiht sich an den nächsten, es geht zu wie bei einem Lady Gaga-Konzert in London, nur dass die Leute in den Bussen hier wesentlich älter sind.
»Vor zehn Jahren wars«, sagt der Reiseleiter ins Mikrophon. »Zwei Verlobte sind zusammen mit mir heruntergfahren, in drei Wochen hättens heiraten sollen. Und die haben hier die Berufung gespürt. Sie ist jetzt Schwester in einem Kloster in der Nähe, und er hat Kroatisch gelernt und ist Pfarrer in einer Gemeinde bei Split.«
»Jööööh!«
In Cenacolo werden einige Pilger von jungen Männern mit entrückten Gesichtern begrüßt. Ich sehe Umarmungen, die mir in ihrer Innigkeit absolut unverständlich sind. Wie oft muss man hierherfahren, damit so enge Beziehungen entstehen? Ich halte mich etwas abseits und fühle mich unwohl, ich weiß nicht, wohin mit mir.
Cenacolo scheint ein weitläufiges Anwesen zu sein, wir stehen offenbar vor dem Haupthaus, in dem Souvenirs verkauft werden. Einer der jungen Männer führt uns zu einer Reihe gelber Plastikstühle in einer Laube und bittet uns, Platz zu nehmen, er sei gleich zurück. Alles rückt geräuschvoll mit den Stühlen. Ich setze mich in die letzte Reihe, und zwar ganz außen, damit ich jederzeit verschwinden kann, sollte es mir zu bunt werden. Ingo will sich von der anderen Seite her zu mir setzen, wird jedoch vom Kappenmann, der sich an mir vorbeidrängt, daran gehindert und steckt nun, zwischen dem Alten und der intelligenten Frau eingekeilt, in der Mitte der Reihe fest.
Wir warten. Alle
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