Unterwegs im Namen des Herrn
Verschnaufpause, in der ich über die Schwäche meiner Freiheit nachdenke, geselle ich mich wieder zu den anderen. Unten ist erneut das Hundegebell zu hören. Minuten später begrüßt Ivica seine »Nachbarn und Freunde« und schenkt Champagner aus. Dann tritt Stille ein. Zehn oder zwölf Menschen stehen mit ihren Gläsern in den Händen da und starren die Besucher aus Österreich an, während Ivica mit Besitzerstolz auf uns zeigt, wie wir nebeneinander auf der Couch sitzen. Es werden lediglich einzelne Worte wie Austria, Präsident, Million Euro geflüstert.
Ich hole mein iPhone hervor und rufe Tomy an. Das Telefon wird sogleich Gegenstand einer diskreten Unterhaltung einiger neu angekommener Frauen. Sie mustern mich von oben bis unten wie ein Pferd in der Koppel.
Als ich Tomy nicht erreiche und auflege, bittet Ivica um Ruhe. Anders als ich erwartet hätte, folgt jedoch keine Ansprache über uns, sondern über die Feigen. In jeder Hand eine Tüte präsentierend, hält Ivica eine Rede, in der es wohl um Freundschaft geht. Der Name meines Vaters fällt, und wenn mich nicht alles täuscht, verkauft Ivica die Feigen als Liebesgabe eines alten Freundes, der ihm nach all dieser Zeit drei Dinge geschickt hat: seinen Sohn, dessen Freund – und die Feigen.
Ich starre auf meine Nägel. Von der Reise sind sie schmutzig. Ich greife wieder zu meinem iPhone, um eine SMS an wen auch immer zu schreiben, doch das wird von Ivica unterbunden. Jeder der Anwesenden muss sich nämlich eine Feige nehmen, und wie mit einem Glas Schnaps prosten alle einander zu und schreien »Živio!«.
Wie ich uns da feierlich in unsere Feigen beißen sehe, befällt mich die Vorstellung, ich hätte eine Fieberphantasie. Der Gedanke bringt mich zum Lachen. Ingo stimmt ein, und nach meinem Gefühl klingt sein Kichern nicht weniger hysterisch als meines. Er fragt mich, was mit Tomy ist. Ich schicke ihm die Nummer, damit er es auch probieren kann.
Ivica winkt mir zu, ich solle zu ihm kommen, und ich folge dieser Einladung, denn der Platz neben ihm ist immerhin nicht so exponiert wie der auf der Couch.
»Hat Dragica hier gefragt, wie viel verdienst du«, raunt er mir zu. »Habe ich gesagt zwei Millionen. Damit weißt du.«
Er zwinkert, packt Zvonko an der Schulter und zieht ihn in einen Nebenraum.
Auf mich steuern zwei stark geschminkte Frauen zu. Hilfesuchend drehe ich mich zu Ingo um, doch der stehtbereits mit zuckender Wange zwischen drei bulligen Kerlen und zwei Frauen, die aussehen, als würden sie auf VOX das nächtliche Nackt-Quiz moderieren, dämpft eine Zigarette in einem edlen Aschenbecher ab, den einer der Männer in der Hand hält, und zündet sich die nächste an.
»Dragica«, haucht eine Rothaarige und streckt mir die Hand entgegen. »You are Thomas?«
Ich nicke und erfahre den Namen ihrer blonden Freundin, die Sandra heißt. Sogleich kommt Dragica auf den für sie interessantesten Punkt, sie will wissen, ob ich wirklich Schriftsteller bin und ob ich wirklich zwei Millionen verdiene. Ich schaue auf meine Schuhe und fluche vor mich hin.
Dragica beginnt mir etwas zu erklären. Ihr Englisch ist eher bruchstückhaft, was sie nach zehn Minuten sogar selbst merkt und an Sandra übergibt. Die wiederum versteht den Unterschied zwischen Denken und Schreien nicht, und mitten in ihrer törichten Geschichte hebe ich einen Finger, setze einen entgeisterten Blick auf und rufe: »Sorry! One moment!«
Ohne mich noch einmal umzudrehen, laufe ich davon. Auf dem Weg in mein Zimmer sehe ich noch Ingo, der neben dem Sofa von zwei Türsteherfiguren bedrängt wird. Ich schlage die Tür zu und drehe den Schlüssel um.
Aus einer Ecke dringen Geräusche zu mir. Als ich hinsehe, nehme ich zunächst nur ein sich ruckartig bewegendes großes Stück Fleisch wahr. Es dauert einige Sekunden, bis ich das Fleisch als die Hinterseite eines fetten nackten Mannes identifiziert habe, unter dem ein weiblicher Körper winselt. Gehört haben mich die beiden offenbar nicht, denn sie machen weiter. Ich gehe zum Bett und schreie, sie sollen gefälligst aus meinem Bett verschwinden.
»Versteht ihr? You understand? Stop fucking in my bed! Go! Leave! Get out!«
Die beiden schauen mich erschrocken an. Auch der Mann, der doppelt so groß und breit ist wie ich, aber offenbar zur gutmütigen Sorte gehört. Die beiden wechseln ein paar Sätze auf Kroatisch, dann murmeln sie eine Entschuldigung, steigen vor mir nackt aus dem Bett, wobei ich natürlich alle interessanten Details
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