Unterwegs im Namen des Herrn
würde ich am liebsten hierbleiben, doch zum einen gilt es, das richtige Zimmer zu finden, zum anderen habe ich ein schlechtes Gewissen gegenüber Ingo. Also öffne ich leise die Tür, und ebenso leise arbeite ich mich in das Feigenzimmer vor. Dort finde ich nur ein Paar, das in seine Unterhaltung versunken ist und von mir keine Notiz nimmt.
»Ingo? Ingo?«
Nirgends eine Spur von Ingo, dafür halte ich das klamme Hemd auf meiner Haut nicht mehr aus, ich reiße es mir herunter und werfe es auf einen Fauteuil, es ist ohnedies wahnsinnig heiß und feucht im Haus.
Ich stelle mich auf einen Balkon und schaue auf das Meer hinunter. Ich trage nichts als meine Jeans und schwitze dennoch schrecklich, was diesmal aber nicht alleine an mir liegt, sondern an der Schwüle der Nacht und am kroatischen Sommer. Ich bilde mir ein, eine Schiffssirene zu hören. Ein einsamer Nachtfalter tanzt um eine Laterne. Ein Hund bellt, ein Auto hupt lange, jemand lacht in der Dunkelheit. Ich strecke mich und gehe wieder hinein.
Vergeblich suche ich nach unseren Zimmern. Als ich die Hoffnung bereits aufgegeben habe, stoße ich in der Wohnküche auf Ingo, der vor sich eine Munterkanne voller Rotwein hat. Bei ihm sitzen Tomy und einige andere Menschen. Tomy und ich umarmen uns, und ich muss Goran-Ivanišević-Schnaps trinken, was ich nicht gleich registriere, obwohl ich eine ganze Weile am Etikett der Flasche herumfummle, das den kroatischen Tennisspieler zeigt.
Tomy stellt mir die Leute am Tisch als seine Freundevor. Ich erfahre, dass eine gewisse Andrea für uns am Herd steht und Pasta kocht, damit Ingo und ich etwas essen. Ich will nichts essen und versuche das zu kommunizieren, aber ich lese von Ingos Gesicht ab, dass er an diesem Vorhaben auch schon gescheitert ist.
»Wo ist Ivica?«
Ingo schüttelt den Kopf. »Frag nicht.«
Er nimmt einen tiefen Zug von seiner Zigarette und hustet. Ich habe keine Ahnung, was er mir mitzuteilen versucht. Ich zucke die Schultern und hole mir ein Bier, um den schauderhaften Geschmack des Schnapses loszuwerden. Mein Handy piept, eine SMS von meiner Frau, ob ichs denn recht schön hätte. Wunderbar, antworte ich.
»Ich würde euch ja gern mitnehmen«, sagt Tomy, »aber wir haben schon Gäste aus Zagreb im Haus.«
»Kein Problem«, sage ich, »wir sind hier gut untergebracht.«
»Absolut«, sagt Ingo.
»Schönes Haus«, sagt Tomy.
»Wo warst du die ganze Zeit?«, frage ich. »Weißt du, wie oft ich versucht habe, dich zu erreichen?«
»Mit ihnen unterwegs.« Er zeigt auf seine Freunde. »Du glaubst es nicht, die haben jetzt einen Türken in meinem Stammlokal hier, der nur Deutsch spricht. Ich bestelle Cola rot, was sagt der zu mir? ›Chef, Entschuldigung, hab ich nur schwarze Cola!‹«
In der kurzen Zeit, bis Andrea uns beiden, Ingo und mir, einen Teller Nudeln hinstellt, muss ich mit Tomy reichlich Goran-Ivanišević-Schnaps trinken, was ich mit der Gleichgültigkeit eines Mannes hinnehme, der sich seinem Schicksal stellt. Ich frage Andrea, ob sie nichts essen wolle, und siesagt, sie und alle anderen hätten schon am Abend gegessen, das sei nur für uns.
Ich esse eifrig und lobe die Nudeln laut und mehrmals. Ingo schaut mich an. Ich bin leider schon ein wenig zu angeschlagen, um in seiner Miene lesen zu können.
BOTSCHAFT VOM 25. 03. 2007
Liebe Kinder! Ich möchte euch von Herzen für eure Fastenopfer danken. Ich möchte euch anregen, mit offenem Herzen auch weiterhin das Fasten zu leben. Mit Fasten und Entsagung werdet ihr, meine lieben Kinder, stärker im Glauben sein. Durch das tägliche Gebet werdet ihr in Gott den wahren Frieden finden. Ich bin bei euch und ich bin nicht müde. Ich möchte euch alle mit mir in den Himmel führen, deshalb entscheidet euch täglich für die Heiligkeit. Danke, dass ihr meinem Ruf gefolgt seid!
»Was liest du da?«, fragt Tomy.
Ich will antworten, doch in diesem Moment kommt Ivica herein, und irgendetwas an seinem Anblick irritiert mich. Erst nach einer Weile fällt mir auf, dass er nur Boxershorts und eine knappe, ärmellose Militärjacke trägt. Die Shorts sind bedruckt mit dem Bild einer Gurke, die in Scheiben geschnitten wird. Man sieht sie jedoch leider oder besser gesagt zum Glück kaum, weil sie von Ivicas herabhängendem Bauch verdeckt wird. Ingo wirft mir nun einen deutlichen Blick zu, einen, der zugleich einen stummen Vorwurf und Resignation ausdrückt.
Ivica setzt sich zu mir, schenkt allen Schnaps ein, und es
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