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Unterwegs im Namen des Herrn

Unterwegs im Namen des Herrn

Titel: Unterwegs im Namen des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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zu erfüllen. Ich werfe mir Unmengen von Salz über die Schulter, und er strahlt.
    »Ist gut so. Sonst – Unglück! Wollen wir nicht Unglück, wollen wir Glück! Ja?« Er lacht und küsst wieder seinen Ring.
    Ich weiß absolut nicht, was ich sagen soll. In meiner Hilflosigkeit biete ich Ivica Feigen an und vergesse nicht zu erwähnen, dass mein Vater sie selbst gepflückt hat. Das hätte ich besser nicht tun sollen. Es folgt eine weitere, noch heftigere Ode an die Freundschaft, und natürlich müssen wir mitessen.
    Ingo zündet sich die dritte Zigarette in zehn Minuten an. Unter seinem Auge geht es zu, als würde man ihn mit Stromstößen bearbeiten. Wir wechseln Blicke. Beide hoffen, dass dem anderen etwas einfällt. Ingo tippt etwas in sein Handy. Sekunden darauf piept meines. Eine SMS von Ingo, der Inhalt besteht aus nur einem Wort: TOMY !
    Versuche es dauernd, schreibe ich zurück. Bei Ingo piept es, doch er kommt nicht zum Lesen, denn Ivica setzt sich nun zwischen uns, schnippt nach mehr Schnaps und prüft die Beschaffenheit von Ingos Oberschenkel.
    »Bist du die Fotograf? Franjo hat gesagt. Fotografierst Präsident von Austria? Verdienst du wie viel? Eine Million in Jahr?«
    Ingo ist ziemlich sprachlos, vermutlich auch deswegen,weil er tatsächlich den österreichischen Bundespräsidenten fotografiert, zumindest hin und wieder. Er kommt jedoch nicht zu einer Antwort, was wohl ganz gut ist bei seinem Temperament, weil Ivica am Nebentisch zwei junge Frauen erspäht hat, denen er jetzt über Ingos Beine hinweg Feuer gibt und ganz offenkundig Rang und Namen seiner zwei österreichischen Freunde anzupreisen beginnt. Sie reden Kroatisch, aber Foto, Präsident Austria, Euro verstehe ich. Was er über mich sagt, kriege ich nicht mit, es muss sie aber weniger beeindruckt haben, denn während die eine nun wieder in ihrer Zeitung liest, rückt die andere ihren Stuhl näher an Ingo heran und lässt ihr Englischtalent durchschimmern.
    Mein Herz rumpelt. Ich habe Atembeschwerden. Trotz all den Xanor kommt die Angst durch. Ich stehe auf, als wollte ich zur Toilette, und gehe ein wenig herum, das hilft meistens.
    Jetzt hilft es leider nicht. Als ich an den Tisch zurückkehre, sitzt Ingo eingekeilt zwischen der Frau und Ivica, ihnen gegenüber haben zwei brutal aussehende Genossen der Marke Ustascha-Eliteeinheit Platz genommen. Der eine kann nicht viel älter sein als ich, den anderen schätze ich auf Mitte fünfzig. Auf dem Tisch stehen rund um die Feigen etwa fünfzehn leere und zehn volle Schnapsgläser. Ich kann keinen Sinn mehr in diesem ganzen Treiben erkennen und frage mich beunruhigt, wie wir hier rauskommen sollen.
    Ich stehe da und starre auf diesen Tisch des Wahnsinns. Aufstehen, Sachen packen, gehen? Das wäre möglich. Meinem Vater bringe ich das problemlos bei. Mit Ivica könnte das schon etwas schwieriger werden. Aber will ich mir jetztwirklich ein Hotel suchen? Ich habe keine Energie dafür. Ich kann nicht mehr. Ich will mich bloß noch ins Bett legen. Schlafen, morgen zum Flughafen fahren, weg.
    Prüfend betrachte ich meinen Gastgeber und seine Freunde. So schlimm ist es gar nicht. Wovor laufe ich davon? Viele schillernde Erlebnisse, deren Andenken heute noch mein Leben bereichert, haben sich aus ziemlich dubiosen Situationen entwickelt und mich gelehrt, dass man manchmal der Dunkelheit eine Chance geben muss. Man muss nur immer wieder herausfinden, in das Licht, sich für die gute Seite der Macht entscheiden, auch und gerade ich, denn trotz aller Grenzgänge bin ich auf der guten Seite zu Hause. Und außerdem habe ich schon als Taxifahrer ganz passabel verdient, weil ich antizyklisch gefahren bin, wobei ich nicht an meinen Hang zu überhöhter Geschwindigkeit denke, sondern an meine zuweilen bizarre Standplatzwahl, die mir allerdings auch lange Nächte an irgendwelchen trostlosen Ecken am Stadtrand beschert hat. Unorthodoxes Verhalten kann also sehr positive und sehr negative Folgen haben. Möglicherweise meinen die Asiaten das mit ihrer berühmten Redewendung, man solle, wenn man es eilig hat, einen Umweg machen.
    Ich setze mich, nehme ein volles Schnapsglas und proste allen zu, besonders freundlich den zwei Neuen am Tisch. Ingo starrt mich an, als sei ich vollkommen übergeschnappt. Ivica stellt mir den älteren seiner Freunde als Mate und den anderen als Zvonko vor, und ich winke nach der nächsten Runde.
    »Mate – Hajduk Split«, sagt Ivica, und Mate schlägt sich auf den Oberkörper, wobei er den

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