Unterwegs im Namen des Herrn
vermerke, zum Beispiel, dass der Mann einen Rieseneumel hat und die Frau eine Riesennarbe zwischen den Brüsten wie nach einer schweren Herzoperation. Sie ziehen sich notdürftig an, nehmen den Rest ihrer Kleider auf und tapsen hinaus. Hinter ihnen sperre ich ab.
Gerade auf Reisen darf man nicht zu pingelig sein, deshalb lege ich mich nach einer kurzen Inspektion auf das benutzte Bettzeug. Auf dem Nachttisch steht ein Eiskübel mit einer Flasche Champagner, daneben liegen zwei umgestürzte Gläser, deren Inhalt sich über den Teppich ergossen hat.
Ich brauche Heimat, Identität, etwas, woran ich mich festhalten kann. Am liebsten würde ich Comics lesen, doch ich bin zu faul, noch einmal aufzustehen. Aus meiner Hosentasche hole ich eine der Broschüren.
»EURE UMKEHR UND ENTSCHEIDUNG FÜR DIE HEILIGKEIT SOLL HEUTE UND NICHT MORGEN BEGINNEN.«
So ruft uns die Muttergottes in ihrer Botschaft vom 25. November 1998 auf und betont, wir sollen das Gebet mit Ernsthaftigkeit annehmen und beten, beten, beten. Unermüdlich richtet sie diese Aufrufe an uns, damit wir diese Botschaften des Heils endlich wahrnehmen und auch verwirklichen. Wir sollen uns im täglichen Gebet öffnen und das Gebet in den Familien erneuern. Groß sind die Versuchungen unserer Zeit: Die weltlichen Angebote übertönen die leise, zarte Einladung zu Gebet, Fasten und Umkehr.
Das sind auch die Werte von Schwester Elvira, welche im neuen Buch von Pater Slavko Barbaric »Perlen des verwundeten Herzens« am Beispiel der Drogenkranken aufgezeigt werden. Denn wenn die vollkommene Ausrichtung zu Gott erfolgt, dann beginnt die »Göttliche Therapie« und auch ein noch so großes, fast unüberwindbar scheinendes Problem, wie es die Drogensucht ist, wird mit Hilfe des Gebets, mit Geduld und Aufopferung besiegt, dem Leben wird ein neuer Sinn gegeben.
Mir ist jetzt nach einer Xanor. Ich habe Herzflattern, bin aber zu erschöpft, um noch einmal aufzustehen. Meine Augen brennen, mein Hals tut weh. Ich bleibe einfach liegen. Draußen höre ich Musik und Gebell. Mein Blick fällt wieder auf meine Nägel. Notdürftig säubere ich sie mit der Kante der Gospabotschaft, etwas anderes habe ich nicht.
Viel habe ich noch nicht herausgefunden auf dieser Wallfahrt, doch eine Erkenntnis habe ich immerhin gewonnen: Meine erste Assoziation mit Religion ist Einsamkeit und Hilflosigkeit. Und was zugleich darauf folgt, ist die Hoffnung, das Augenfällige sei doch eine Täuschung und irgendwo wirke im Verborgenen etwas Gutes, das zu Recht Gott genannt werden kann. Ja, tief in mir lebt die Sehnsucht nach dem Göttlichen, das mich nicht alleine lässt, und genau das wird mir hier bewusst: die Existenz einer stillen Übereinkunft mit mir selbst, dass ich nicht alle Türen zugeschlagen habe. Ichhabe keine Ahnung, woran die Menschen glauben, die ich in Medjugorje getroffen habe. Ich habe keine Ahnung, woran die Menschen glauben, die nun vor meiner Zimmertür wüten. Ich weiß, dass ich von Geburt an von ihnen getrennt bin und dass ich mich immer danach sehnen werde, einer von ihnen zu sein, irgendwie.
9. Kapitel
Wir bekommen Penne – Die Gurkenunterhose – Ivica wird zornig – Ich sperre mich ein – Heiliger Geist, wer bist du? – Friendly fire – Wer zahlt die Ziege? – Ingo beim Klettern – Der blutende Fuß
Als ich erwache, ist es ein Uhr früh. Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass mir eine Gefahr droht. Welcher Art, weiß ich nicht, ich weiß nur, dass ich aufpassen sollte, was ich tue.
Ich habe Kopfschmerzen, Halsschmerzen, Hunger und Durst. Meine Zunge brennt, das gefällt mir am wenigsten, denn in einem populärmedizinischen Buch las ich einst, Zungenbrennen würde auf mehr oder minder ernstzunehmende Leberprobleme hindeuten. Ich nehme eines der umgestürzten Gläser, fülle es mit Champagner und spüle damit eine Mexalen hinunter.
Vom Hafen her pulsiert Musik. Ich reibe mir das Gesicht. Obenrum bin ich nackt. Mein Hemd liegt am Fußende des Bettes, es ist durchgeschwitzt, und ich frage mich, wann und wie ich es losgeworden bin. Während ich es widerwillig anziehe, bemerke ich, dass nicht nur mein Gepäck verschwunden ist, sondern auch alle anderen Dinge, die ich bei der Ankunft in meinem Zimmer bewundert habe, woraus ich schließe, dass ich mich gar nicht in meinem Zimmer befinde und das stürmische Paar grundlos und widerrechtlich verscheucht habe.
Ich höre, wie jemand im Haus auf einem Schlagzeug zu trommeln beginnt. Planlos stehe ich da. Zwar
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