Unterwegs im Namen des Herrn
Nachbar für Ziege!«
»Ja, das fehlt noch! Natürlich zahle ich diese …«
»Beleidigst du mich! Ist wie Essen von andere in meine Haus! Gebe ich Pistole, zahle ich Ziege!«
Ich weiß, diese Diskussion ist sinnlos. Ich bedanke mich für seine Großzügigkeit, aber sein völlig ernst gemeintes Angebot, Fleisch mitzunehmen, lehne ich ab.
Ivica versucht den Nachbarn telefonisch zu erreichen. Als der nicht abhebt, verschwindet er kurz im Haus und kehrt mit einem Bündel Geldscheine zurück, das er Mate in die Hand drückt. Zwei Minuten darauf hören wir, wie Mates Wagen wegfährt.
»Ist nicht weit. Kommt er bald zurück. Zvonko!«
Er sagt etwas von Karl Koks, und wieder greift Zvonko zu seinem Handy. Mich wundert, dass er die Tasten trifft.
Ivica und die anderen machen mit den Schießübungen weiter. Ich wehre mich energisch gegen alle Einladungen, mehr Ziegen zu schießen, und verziehe mich so schnell wie möglich ins Haus, wobei meine Beine zittern und ich nach jedem dritten Schritt eine Pause einlegen muss, weil ich keine Luft kriege und mein Herz so hämmert.
Ich versuche durch Ingos Schlüsselloch zu spähen, doch Ivica hat recht gehabt. Die abgerissenen Zigarettenfilter, mit denen sich Ingo vor den Blicken der Außenwelt und vor Ivicas Nachstellungen schützen wollte, quellen bereits aufder Flurseite heraus. Ich gehe aufs Klo, dann hole ich mir aus der Küche eine Flasche Mineralwasser.
Vor meinem Fenster donnern die Schüsse. Hoffentlich hat Ivica Zvonko unter Kontrolle. Ich suche nach meinen Ohropax, ich suche in allen Taschen, doch ich finde nur die »Stimme der Königin des Friedens«, die mir mein Vater offenbar wieder zugesteckt hat. Ich bin so verwirrt, dass ich wieder automatisch irgendwo in der Mitte zu lesen beginne: » Wir legen Dir alle dar, die in die Irre gegangen sind, oder gefangen von anderen Menschen oder materiellen Dingen. Befreie Sie Herr, dass auch Sie, als Deine Kinder in Freiheit leben können und ein richtiges Verhältnis zu sich und zu anderen schaffen können … «
Es klopft. Ich höre Ingos Stimme und öffne. Verschlafen, aber vollständig angezogen steht er vor mir.
»Wird da geschossen?«
»Ja, nur Zielschießen.«
»Warst du da auch dabei? Bist du nicht gerade erst ins Zimmer gegangen?«
»Ich? Nein. Ich war nur auf dem Klo.«
»Was ist mit deinem Gesicht?«
»Das habe ich mich auch schon oft gefragt.«
»Bist du irgendwo dagegen gelaufen?«
»Türstock. War dunkel.«
»Hast du Ohropax für mich? Bei dem Wahnsinn kann ja kein Mensch schlafen.«
Ich drücke ihm die »Stimme der Königin des Friedens« in die Hand und wünsche ihm gute Nacht. Sperre ab, lege mich aufs Bett und vergrabe meinen Kopf, in dem der Schmerz hämmert, unter dem Kissen.
Zehn Minuten später sind auch noch die Halsschmerzen wieder da. Es tut so weh, dass an Schlaf nicht zu denkenist. Ich wälze mich herum, höre Schüsse, dann endlich kehrt beinahe Stille ein. Vor meinem Fenster ahmt jemand Ziegengemecker nach. Gelächter. Jemand rülpst. Kurz darauf setzt das Schlagzeugspiel wieder ein. Ich knipse das Licht an und setze mich auf.
BOTSCHAFT VOM 25. 04. 2007
Liebe Kinder! Auch heute rufe ich euch von neuem zur Bekehrung auf. Öffnet eure Herzen. Dies ist eine Zeit der Gnade so lange ich bei euch bin, nutzt sie. Sagt: Dies ist die Zeit für deine Seele. Ich bin bei euch und liebe euch mit unermesslicher Liebe. Danke, dass ihr meinem Ruf gefolgt seid.
Ich rechne nach, wie viele Schmerztabletten von welcher Sorte ich bereits eingenommen habe. Zu viele jedenfalls, um jetzt ein paar Schlaftabletten hinterherzuschmeißen, denn dann würde ich den Flieger garantiert versäumen und wahrscheinlich nie mehr von hier wegkommen. So schlucke ich zwei Aspirin und zwei Mexalen, weil das Fieber weiter gestiegen ist und mir noch bei der kleinsten Bewegung der Schweiß aus allen Poren rinnt.
Ich lege mich auf den Rücken, schließe die tränenden Augen und warte. Dass das Schlagzeug verstummt. Dass die Tabletten anfangen zu wirken. Dass mein Herz aufhört zu rumpeln. Auf den Schlaf. Auf irgendetwas. Vielleicht sogar auf den König des Friedens.
Ingo trommelt mich heraus. Ich weiß nicht, wie lange er schon vor meiner Tür steht, ich glaube, eine ganze Weile. Als ich öffne, schiebt er mich beiseite und sperrt die Tür von innen zu.
»Aha«, sage ich und reibe mir die Schlafkruste aus den Augen. Dabei fährt ein scharfer Schmerz durch meine Nase, der mich an den Zwischenfall mit der
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