Unterwegs im Namen des Herrn
– was ist das Pater?« Ich antwortete lächelnd: »Nur ein paar Kilometer zum Himmel«. Er verstand meinen Humor und sagte, »Ja Pater, wir werden in diesem Flugzeug sterben. Das Gespräch von gestern tut mir leid, bei dem ich gesagt habe, ich brauche keinen Gott. Ich glaube nicht, dass wir Indien sehen werden! Da Sie ein Priester sind, bitte sagen Sie uns, wie wir uns auf einen glücklichen Tod vorbereiten können«. Ich hätte ihnen sagen sollen, sie sollten ihre Sünden bereuen und ich hätte ihnen dann die Absolution erteilen sollen. Dann fing der Heilige Geist an zu mir zu sprechen. Ich tue nie etwas, ohne den Heiligen Geist zu fragen, der mein dauernder Begleiter ist. Ich fragte sie, ob sie zu tun bereit wären, was ich tun würde und sie waren bereitwillig einverstanden. Ich wusste, wenn ich ihnen gesagt hätte, sie sollten sich auf den Kopf stellen hätten sie es getan, weil sie in diesem Augenblick so verzweifelt und hilflos waren. Ich sagte ihnen, sie sollten den Gurt aufmachen und mit mir aufstehen und den Namen Jesus laut ausrufen. Wir riefen mit all unserer Kraft: »Jesus, Jesus …«, und alle 356 Passagiere an Bord schlossen sich uns an und riefen aus »Jesus, Jesus!«.
Bin ich wach? Träume ich? Ich höre Schlagzeugspiel, ich höre Musik, ich weiß nicht, ob sie von draußen kommt oder aus dem Haus. Ich höre Gemecker, Muhen, Gebell, Polizeisirenen, Lachen, jemand brüllt, eine Schlägerei, bei der ein massiger Körper gegen meine Tür prallt. Das Fieber steigt, die Halsschmerzen kehren zurück. Ich schwitze. Schlachtgesänge. Ich küsse meine Frau. Ich backe Brot. Ich fliege in die USA , ich wohne im Flugzeug, es gibt darin einen Lift. Jemand ruft meinen Namen. Jemand rüttelt an der Tür. Es fliegen Gegenstände in mein Zimmer. Jemand schießt.
Ich sitze im Bett. Ich habe einen Schuss gehört.
»Thomas! Komm! Komm schieße!«
Jemand lacht. Unter meinem Fenster stehen Menschen. Ich wage es nicht, hinzugehen und den Kopf hinauszustrecken. Mein Hals tut so weh, dass ich schreien oder weinen könnte, den Schmerz in die Welt hinausfeuern, das würde ich gern.
»Thomas! Aufwachen! Mond ist hell für Schieße!«
Ich höre Frauen und Männer lachen, wieder knallt es. Ich sehe auf die Uhr. Halb drei. Ich habe keine Dreiviertelstunde geschlafen, doch dieser Schlaf war so tief, dass ich für einen Moment vergessen habe, wo ich bin.
»Ich will schlafen!«
»Kommst du! Sofort! Hast du schon einmal schieße mit große Pistole? Jetzt du kannst!«
Ich reibe mir das Gesicht. Aus dem Waschbeutel hole ich meine Nagelschere und mache meine Fingernägel endgültig sauber.
»Thomas! Komm zu uns!«
Zwei Schüsse krachen fast gleichzeitig.
»Jemand muss mich holen! Es sei denn, ihr habt die Hunde schon erschossen.«
Wieder Lachen, Ivicas Stimme: »Holt Zvonko dich!«
Ich traue mich zum Fenster, sehe jedoch niemanden. Nur eine weiße Katze setzt im Mondschein über eine Mauer herüber, offenbar auf der Flucht vor dem Geknalle.
Ich ziehe ein frisches Hemd aus dem Koffer, trinke einen halben Liter Mineralwasser und schiebe mir einen Kaugummi in den Mund. Als ich die Tür öffne, steht Zvonko bereits davor. Er wankt, sein Gesicht ist verzerrt, er grinst schief, und ich frage mich, ob er mich überhaupt erkennt.
Erst am Treppenabsatz vor der Haustür fällt mir die Pistole in seiner Hand auf. Das gefällt mir gar nicht, und ich bleibe ihm zur Sicherheit dicht auf den Fersen, obwohl mir das Fieber in den Gliedern sitzt und mich jeder Schritt Überwindung kostet.
Wir kommen ohne Zwischenfälle bei den anderen an. Weit und breit ist kein Hund zu sehen, entweder hat sie wirklich jemand erlegt, oder sie wurden weggesperrt. Wir stehen in einer Weinlaube. Vor uns erstreckt sich ein weitläufiger Garten mit Obstbäumen, zwischen denen Hängematten gespannt sind, mit Tischen und Bänken und Liegestühlen, sogar einen kleinen Sportplatz sehe ich zu meiner Linken.
Ivica hält mir eine Dose Bier hin. Ich wische sie oben ab und trinke einen Schluck.
»Wo ist Ingo?«
Ivica lacht. »Schlafft. Redet nicht. Loch von Schlüssel gestopft.«
Er zeigt mir eine Flaschenbatterie, die etwa dreißig Meter entfernt auf einem Gesims steht, und reicht mir eine Pistole.
Kühl liegt das Metall in meiner Hand. Ivica erklärt mir, was zu tun ist. Mein Herz klopft heftig, ich fühle mich aufgeregt und schwach. Die anderen machen zwei Schritte nach hinten.
Ich peile eine Flasche an. Die Waffe ist bedeutend schwerer, als ich gedacht
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