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Unterwegs im Namen des Herrn

Unterwegs im Namen des Herrn

Titel: Unterwegs im Namen des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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hätte. Mein Arm schwankt, meine Hand zittert. Ich merke, wie mir der Schweiß über den Rücken läuft und dieser an verschiedenen Stellen zu jucken beginnt. Ich konzentriere mich, halte den Atem an und drücke ab. Dann wird alles schwarz.
    Als ich wieder sehen kann, liege ich auf dem Boden. Nach einer Weile sind meine Ohren nicht mehr taub, und ich höre vielstimmiges Gelächter.
    Ivica hilft mir auf. Das Wort Rückstoß kennt er nicht, aber mir ist auch so klar, was passiert ist. Eine der Frauen kommt mit einem Tuch, das sie in einer Regentonne mit Wasser getränkt hat, und drückt es mir auf die Nase. Erst durch das Brennen verstehe ich, dass mir die Pistole ins Gesicht geflogen ist. Ein dumpfer Schmerz pulsiert unter dem Brennen, und ich frage mich, ob mein Nasenbein gebrochen ist.
    Zvonko schreit auf, offenbar gebietet er Ruhe, denn alle werden still. Ich glaube etwas zu hören, aber es ist zu weit weg. Plötzlich geraten alle in Aufregung. Ivica schnappt sich die Pistole und eine Stabtaschenlampe und läuft barfuß im Bademantel durch den Garten, gefolgt von Mateund einem anderen Mann, auch eine Frau ist dabei. Sie verschwinden hinter einer Mauer.
    Ich verstehe nicht, was los ist. Fragend schaue ich die Blondine neben mir an. Die Sache wird mir unheimlich, zumal ich nun so etwas wie Gebrüll höre.
    »Was ist das?«, frage ich. »What is that? Did I … did I shoot somebody?«
    Ich bekomme eine Gänsehaut. Es schüttelt mich, mir wird schlecht. Die Frau legt die Hand auf meine Schulter, sie streicht mir über den Oberarm und sagt etwas, was ich nicht verstehe.
    Kurz darauf höre ich einen Schuss. Ringsum werden alle unruhig. Ich weiß nicht, ob ich hinlaufen, dableiben oder am besten gleich abhauen soll. Ich entspanne mich nur unmerklich, als ich Ivica in wallendem Bademantel auftauchen sehe, in der Hand die Waffe. Wirklich besser geht es mir erst, als ich bemerke, dass Mate und der andere Mann hinter ihm lachen. Sie rufen etwas. Die Frauen und Männer rings um mich kreischen und lachen und schütteln die Köpfe. Bekräftigende Flüche werden laut.
    »Was ist? Was ist passiert? Was ist los?«
    »Hast du Ziege geschossen!«, ruft Ivica. »Hast du getroffen Ziege von Nachbar!«
    Er bleibt stehen, beugt sich nach vorne und stemmt die Hände in seine fetten Hüften, so stark muss er lachen.
    »Was? Eine Ziege?«
    »Komm schauen!« Er winkt mir.
    »Du spinnst ja!«
    »Sehr gut, mein Freund! Kommst du in Klub!«
    Er steckt die Pistole in die Tasche seines Bademantels und watschelt heran.
    »Hat dein Vater einmal, wie heißt Tier, nicht Hirsch, so ähnlich, hineingefahren hat er mit Auto. Ist Tier in Wald verschwunden, sind wir alle raus aus Auto, haben gesucht und gestochen und in Kofferraum! Zu Hause in Badewanne war Tier, haben alle eine Woche gegessen nur Braten! Wird haben Spaß wenn hört! Du bist wie Franjo!«
    »Was war das für ein zweiter Schuss?«, frage ich, obwohl ich es mir schon denken kann.
    Ivica spuckt aus. »Ziege nicht ganz tot. Jetzt ganz tot.«
    Rundherum winden sich alle in Heiterkeit, nur ich nicht. Ich habe noch nie etwas umgebracht, außer so sinnlosen, widerlichen, bösen, absolut überflüssigen Geschöpfen wie Moskitos. Ich weiß noch, dass ich damals, nachdem ich mit dem Taxi eine Katze angefahren hatte, wochenlang wegen schlechten Gewissens nicht schlafen konnte. Nun habe ich eine Ziege erschossen! Nein, das kann nicht sein.
    Ich gebe der Frau ihr Tuch zurück. »Okay«, sage ich zu Ivica. »Führ mich hin.«
    Unterwegs kann ich mich vor Ivicas Scherzen kaum retten. Er zieht die Pistole wieder heraus und fragt, ob ich vielleicht eine brauche, ob ich Ziegenfleisch mitnehmen will nach Österreich. Er verspricht mir, etwas davon an meinen Vater zu schicken. Ich erfahre, dass ich nicht das geringste Problem hätte, hier eine Karriere als Ziegenschlächter anzufangen. Er schwafelt etwas von einem Journalisten, den er kennt und der über diese Geschichte berichten soll. Er legt den Arm um meine Schulter, und so gehen wir um die Mauer.
    Bald stehen wir vor einer Art Scheune. Es riecht scharf nach Tier. Ich höre Gemecker. Ivica zieht die Taschenlampe heraus und leuchtet in eine Ecke. Zunächst ist das Licht zugrell, so dass ich wegschauen muss. Als ich mich an die Helligkeit gewöhnt habe, sehe ich ein großes graues Bündel auf dem Boden liegen. Ich glaube auch Blut zu sehen.
    Ich drehe mich um und schleppe mich zurück zu den anderen.
    »Thomas! Was ist? Ist kein Problem! Zahle ich Geld

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