Unterwegs in der Weltgeschichte
vernichtete, sondern die Welt im Ganzen völlig veränderte.
Es war der Knopfdruck des amerikanischen Piloten Oberst Paul Tibbets, der am 6. August 1945 um 8 Uhr 15 an einem schwülheiÃen Sommertag in 9450 Metern Höhe über den Dächern Hiroshimas eine drei Meter lange Atombombe ausklinkte. Nach 45-sekündigem freiem Fall explodierte der 4000 Kilogramm schwere Stahlzylinder in 580 Metern Höhe. Ein Feuerball von über einer Million Grad Celsius lieà die Menschen und die traditionellen Holzhäuser im Umkreis eines Kilometers gleichsam verdampfen. Die nachfolgende Druckwelle machte innerhalb von einer Minute achtzig Prozent der Stadtfläche Hiroshimas dem Erdboden gleich. Noch in zehn Kilometern Entfernung vom Detonationszentrum setzten Temperaturen von 6000 Grad Celsius ganze Wälder in Brand. 92 000 Menschen starben sofort. Am Jahresende zählte man 130 000 Tote, zumeist Zivilisten, darunter zehn Prozent koreanische und chinesische Zwangsarbeiter. Aberzehntausende wurden wie Sadako Sasaki noch Jahrzehnte später Opfer des radioaktiven Fallouts, der sich zwanzig Minuten nach der Explosion als staubiges Leichentuch über Stadt und Umland legte.
Die psychologische Wirkung dieses Bombenabwurfs von nie zuvor gesehener Wirkung zusammen mit dem zweiten, ähnlichen Schreckensereignis drei Tage später in Nagasaki veranlasste den japanischen Kaiser zur bedingungslosen Kapitulation im Kampf mit den Alliierten. Am 2. September war der verlustreichste Krieg aller Zeiten, der Zweite Weltkrieg, damit endgültig beendet.
Durchstreifen Sie heute die zentrale Insel im Fluss Ãta, die in der wiederaufgebauten Stadt Hiroshima als Peace Memorial Park ausgestaltet wurde, dann begegnet Ihnen gleich neben dem Kinderfrieden-Denkmal der Sadako Sasaki, an dem Abertausende von Papier-Kranichen von Kindergruppen aus aller Welt lagern, die sogenannte Atombombenkuppel, jenes ausgebrannte Stahlgerippe, das einstmals die stolze Handelskammer von Vorkriegs-Japan darstellte. In einiger Entfernung davon brennt noch eine Flamme, die man freilich lieber heute als morgen gerne auslöschen würde. Denn dieses Feuer soll so lange weiterbrennen, wie es noch Atombomben auf der Welt gibt. Die solide Umfassung des Mahnmals macht aber deutlich, dass man sich angesichts der politischen Realitäten auf eine lange Brenndauer eingestellt hat.
Es ist ein schauerlicher Kontrast, der sich auftut zwischen den erschütternden Ausstellungsbildern im »Friedenspark«, die entstellte und verwüstete Menschenleiber zeigen, und den berühmten Fotografien vom Atompilz, der wie ein gewaltiges kosmisches Naturereignis anmutet und geradezu ästhetische Gefühle wachrufen kann.
Ist dieser Kontrast nicht wie ein Symbol für die besondere Gefährlichkeit dieser allerneuesten Errungenschaft der Menschheit? Für ihre Zwiespältigkeit und Doppelbödigkeit? Die Kraft der Sonne zu beherrschen â gereicht das der Menschheit nun zum Fluch oder zum Segen? Ãber die Antwort wird seit jenem Augusttag des Jahres 1945 heftig gestritten. Wohl keine andere Erfindung der Geschichte hat so unterschiedliche Reaktionen und Meinungen hervorgerufen wie die im 20. Jahrhundert erworbene Fähigkeit von uns Menschen, Atome zu spalten.
Für die einen lag und liegt heute in der Atomkraft der Schlüssel zum Fortschritt und zur Lösung all unserer Energieprobleme, selbst wenn die Atomeuphorie der Sechziger- und Siebzigerjahre einen schweren Knacks bekam, als die Welt 1986 den Ortsnamen Tschernobyl buchstabieren lernen musste. Für die anderen scheint mit der Kernkraft die Büchse der Pandora weit geöffnet, deren todbringender Inhalt das baldige Ende der Menschheit heraufbeschwört, und die Katastrophe von Fukushima im März 2011 scheint ihnen recht zu geben. Selbst was die rein kriegerische Nutzung der Atomkraft angeht, so sind die Ansichten durchaus geteilt. Nicht wenige behaupten, dass die Menschheit in den letzten sechzig Jahren nur deswegen einem Dritten Weltkrieg entging, weil die Atommächte, die sich lange Zeit als waffenstarrende Machtblöcke namens NATO und Warschauer Pakt lebensbedrohlich gegenüberstanden, mit ihren Tausenden von Atombomben ein »Gleichgewicht des Schreckens« errichtet hatten. Und selbst für die beiden Bombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, für die es allen Grund gäbe, sie nachträglich als Massenmord an Zivilisten zu brandmarken und die
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