Unterwegs in der Weltgeschichte
Hinterlassenschaft der Sumerer ist aber ihre Schrift. Die sumerische Keilschrift, deren keilförmige Striche mit einem Rohrgriffel in weiche Tontafeln eingedrückt wurden, entwickelte sich genau wie die Hieroglyphen und wie das moderne Alphabet aus der Abstrahierung von Bildzeichen. Bilder mit einfacher Bedeutung standen am Anfang, später wurden komplexere Begriffe mithilfe von Zeichenkombinationen dargestellt, und der Lautwert wurde allmählich wichtiger, analog der Entwicklung des Alphabets.
Die sumerische Schrift entstand zwischen 3400 und 3200 v. Chr. und wurde bald auch von anderen vorderasiatischen Völkern übernommen. Zeitlich synchron trat auch Ãgypten in den Stand der Schriftlichkeit. Erst ein gutes Jahrtausend später entstand die Bilderschrift der ersten europäischen Hochkultur auf Kreta.
In jedem Fall ist die sumerische Schrift eine kaufmännische Erfindung, keine Schöpfung von Dichtern oder Priestern. Ob es nun um Rinder, Getreide, Wein oder Ãl ging â es galt Lieferungen zu registrieren und Warenmengen festzuhalten. Während sich die sumerische Schrift, wie die Archäologen feststellen konnten, über Jahrhunderte entwickelte, scheint das System der ägyptischen Hieroglyphen â auch wenn es noch zahlreiche Ergänzungen und Veränderungen gab â von Anfang an fast »fertig« gewesen zu sein. Aber was die Priorität, also das »Erstgeburtsrecht«, und die konkrete Schriftpraxis angeht, könnte jeder neue Fund in Ãgypten oder in Mesopotamien das Bild wieder verändern.
Auch das Heldengedicht über den König Gilgamesch, das um 1850 v. Chr. entstand, ist uns in der charakteristischen Keilschrift überliefert. Um den königlichen Halbgott Gilgamesch rankt sich ein Kranz mythischer Erzählungen, in denen er nach gewaltigen Heldentaten den Versuch unternimmt, das ewige Leben zu gewinnen.
Das älteste GroÃepos der Menschheit ist zugleich die früheste schriftliche Quelle für das Auftreten einer alles vernichtenden Flut â den Mythos der Sintflut, der selbst wiederum eine Sintflut an Mythen in Gang gesetzt und sich tief in das kollektive Gedächtnis eingegraben hat. Wie in der Bibel spielt auch im Gilgamesch-Epos die rettende Arche eine Rolle.
Den Sumerern verdanken wir auch die Einteilung des Kreises in 360 Grad und die der Stunde in sechzig Minuten. Nach diesem Sechziger-System richtete sich auch die sumerische Währung. Mit der »Erfindung« der Sieben-Tage-Woche, die auch die Schöpfungsgeschichte der Bibel geprägt hat, mit den Tierkreiszeichen und der Benennung zahlreicher Sternbilder ragt das altbabylonische Kulturerbe bis tief in den heutigen Alltag hinein.
Lange Zeit galten die semitischen Akkader, deren König und Reichsgründer Sargon sich um 2235 v. Chr. zum »Herrn der vier Weltteile« ausrief, als das älteste Volk des Orients. Sie übernahmen die Kernelemente der sumerischen Kultur, darunter die Keilschrift, und beteten zu den Göttern ihrer Vorgänger. Mit ihrer Hauptstadt Akkad aber entfernten sie sich von den sumerischen Zentren am Persischen Golf und konzentrierten sich dort, wo Tigris und Euphrat erstmals einander nahekommen. Die Gegend um das spätere Babylon gewann an Bedeutung.
Und Babylon selbst? Noch gibt es sie gar nicht, oder sagen wir, sie kommt in der Geschichte noch nicht vor: die Stadt, die stärker als Jerusalem und Rom die Fantasie der Menschen beschäftigt hat, die zum Nabel der Welt und zum Inbegriff eines Schmelztiegels der Zivilisationen geworden ist. Zwar wird das »Tor Gottes«, wie das babylonische Wort babilu zu übersetzen ist, erstmals Ende des dritten Jahrtausends v. Chr. erwähnt, aber erst im Verlauf des zweiten Jahrtausends gewinnt es an Bedeutung, und bis zur neubabylonischen Glanzzeit unter dem Chaldäer Nebukadnezar, der das Ischtar-Tor baut, wird noch ein weiteres Jahrtausend vergehen.
Es gehört zu den historischen Merkwürdigkeiten, an denen der Alte Orient so reich ist, dass die eigentliche Gründung Babylons einem â aus sumerisch-akkadischer Sicht â primitiven Kriegervolk zuzuschreiben ist. Der ersten semitischen Einwanderung ins Zweistromland im dritten Jahrtausend v. Chr. folgte um 2000 v. Chr. eine neue aus der syrischen Wüste. Es sind die Nomadenstämme der Amoriter, die um 1800 v. Chr. die Vorherrschaft im mittleren Mesopotamien gewinnen und eine Reihe von Dynastien gründen, die erste
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