Unterwegs in der Weltgeschichte
war der Erste, der überhaupt Fragen stellte. Nach der dichterischen Gründungsurkunde der abendländischen Kultur, die um 750 v. Chr. durch Homers Versepen »Ilias« und »Odyssee« geschaffen worden war, stiftete er fast 200 Jahre später ihr philosophisches und wissenschaftliches Fundament.
Allen, die nach ihm kamen, gab er die Frage nach dem Urstoff mit auf den Weg. Dabei hatte er sie längst â und sehr plausibel â beantwortet: Das Wasser ist es, aus dem alles andere hervorgeht. So leuchtete Thales von Milet (um 600 v. Chr.), mit dem das Denken beginnt, allen voraus, die ihm folgten und an ihm Maà genommen haben, ob in der griechischen Philosophie oder in der Moderne.
Die ersten seiner Nach-Denker, die das Leuchtsignal auffingen und ihrerseits weitertrugen, gingen als ionische Naturphilosophen oder auch als sogenannte Vorsokratiker in die Geschichte ein.
Allesamt waren sie keine Wolkenschieber, sondern Praktiker, Mechaniker, Techniker, Erfinder. Ãber Anaximander, der den unvergänglichen Urstoff hinter der Vergänglichkeit, der Wandlungsfähigkeit der Natur suchte, und Anaximenes, der ihn in der Luft gefunden zu haben glaubte, spannt sich die Kette der Denker bis zu Pythagoras, der in den Zahlen die Bausteine und das eigentliche Geheimnis der Welt erkennt, zu Parmenides, der über Schein und Sein philosophiert, und schlieÃlich zu Heraklit, der aus dem Urfeuer des Logos, der Weltvernunft, die Vielfalt und den Wettstreit der Dinge hervorgehen sieht.
»Der Dunkle« wurde Heraklit aus dem ionischen Ephesus genannt, und entsprechend verrätselte Zitate werden ihm zugeschrieben: »Zeit ist ein brettspielendes Kind, Königsmacht die eines Kindes.« Dass alles flieÃt ( panta rhei ) und in Bewegung ist, nichts von Bestand, hat er uns gelehrt. Und uns aufgegeben, die »Einheit der Gegensätze« zu suchen. Aber darüber sollten wir Demokrit nicht vergessen, der die Atome, die kleinsten Einheiten alles Bestehenden, in die Philosophie und die Naturwissenschaft einführte.
Ihnen allen wies Thales den Weg â und ermunterte sie, selber unterwegs zu sein.
So wie Jahrtausende später auf europäischem Boden die »Grand Tour« die Bildungshungrigen aus dem Norden zu den klassischen Stätten des Südens führte, so zog es die frühen griechischen Denker in die Kulturoasen der damals bekannten Welt: nach Ãgypten vor allem, wo Thales die Höhe der Pyramiden nach der Länge ihres Schattens berechnet haben soll, aber mehr und mehr auch in den babylonisch-phönizischen Nahen Osten.
Reisende bringen in der Regel Souvenirs mit nach Hause. Bei den Vorsokratikern waren es sprachliche, biologische, geografische, mathematische, astronomische Kenntnisse. Die erste Karte der bewohnten Erde, die Einteilung des Sonnenjahres in 365 Tage, die Idee der Sonnenuhr und andere Kulturgüter fanden auf diese Weise den Weg nach Westen. Und die erste wissenschaftliche Erklärung einer Sonnenfinsternis, der vom 28. Mai 585 v. Chr., durch Thales von Milet, woraus man später eine »Vorhersage« machte.
Die Heimatstadt der Naturphilosophen Thales, Anaximander und Anaximenes, im Grenzbereich griechischer und persischer Einflussnahme, unterschiedlicher Rassen, Sprachen und Religionen gelegen, hatte sich seit Beginn des ersten Jahrtausends v. Chr. zu einer reichen und mächtigen Handelsmetropole entwickelt. Hier endeten die groÃen KarawanenstraÃen, die aus dem Innern des asiatischen Kontinents kamen, hier wurden die von dort ankommenden Waren auf Schiffe in Richtung Westen verladen. Wer zur Zeit des Thales von Hellas sprach, meinte in der Regel dessen reichste Stadt: Milet.
Athen musste noch warten, bis es geschichtsträchtig wurde. Und die Akropolis, wie Leo von Klenze sie malte, war noch gar nicht gebaut.
Dafür war inzwischen das gesamte Mittelmeer in Bewegung geraten. Es wurde zum Schauplatz einer gewaltigen friedlichen Mobilmachung. Und das Musterbeispiel Milet wurde vervielfältigt. Im Zuge einer weitgespannten Expeditions- und Expansionswelle gründeten die Griechen zwischen dem achten und dem sechsten Jahrhundert v. Chr. an den Mittelmeerküsten und am Schwarzen Meer fast 200 neue Kolonien. Manche von ihnen wurden erfolgreicher als ihre Mutterstädte.
Zu den ersten neuen Stützpunkten gehörte das 733 v. Chr. auf Sizilien gegründete Syrakus, ein Ableger von Korinth. In Süditalien errichteten die Griechen ein
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