Unterwegs in der Weltgeschichte
deren Könige seit über vier Jahrhunderten in Babylon regiert haben, erlischt 1154 v. Chr.
Das assyrische Reich in Mesopotamien, das vom Kupferhandel mit Anatolien profitierte und um 2000 v. Chr. zur GroÃmacht aufgestiegen war, leidet unter zermürbenden Kleinkriegen. Erst später, im ersten Jahrtausend v. Chr., werden die Assyrer wieder an Macht und Einfluss gewinnen.
Die indogermanischen Philister, seit der Bibel bis heute schlecht beleumdet, fallen in â das später nach ihnen benannte â Palästina ein und setzen sich dort fest.
Auch das ägyptische Reich gerät in arge Bedrängnis, als die Schiffe unbekannter Aggressoren die nordafrikanischen Küsten erreichen. Aber in zwei siegreichen Schlachten, die die Könige Merenptah und Ramses III. 1208 und 1177 v. Chr. führen, gelingt es den Ãgyptern, die Angreifer aufzuhalten. Das Ende des Neuen Reiches ist dennoch vorprogrammiert.
Da verschiedene antike Quellen erwähnen, dass die Eindringlinge auf dem Seeweg gekommen waren oder sogar »auf Schiffen lebten«, haben die Historiker sie als Seevölker bezeichnet. Und ihre verheerenden Attacken auf die Mittelmeerländer â als handle es sich um ein Naturereignis â als Seevölkersturm. Organisierte Piraterie und Freibeuterei dürften allerdings kaum ausgereicht haben, um die gewaltigen gesellschaftlichen und kulturellen Umwälzungen am Ende des zweiten Jahrtausends v. Chr. hervorzurufen.
Wer also waren, woher kamen die Seevölker?
Eine indogermanische Invasion vom Balkan oder von Mitteleuropa aus, ein Zusammenschluss ägäischer, anatolischer und vorderasiatischer Völker, eine von Mykene ausgehende Aggression (womit Homer wieder ins Spiel käme) â die Erklärungen für den Seevölkersturm fielen bisher eher diffus als konkret aus und haben es schwer gemacht, Ursache und Wirkung voneinander zu trennen.
Konsens herrscht aber zumindest darüber, dass es sich um Wanderbewegungen höchst unterschiedlich zusammengesetzter bronzezeitlicher Kriegerverbände handelte. Ihre Routen führten auch â aber wahrscheinlich nicht nur â über das Meer, das Mittelmeer. Der Blick der Historiker richtet sich dabei, was den Ausgangspunkt angeht, zunehmend mehr nach Westen als nach Osten.
So oder so ähnlich könnte es sich abgespielt haben: Im italischen und im ägäischen Raum gerieten verschiedene Stämme während des 13. Jahrhunderts v. Chr. in Bewegung und setzten in der Folge die Nachbarvölker unter Druck. Diese waren dann zum Teil wiederum gezwungen, in andere Gebiete auszuwandern â ein Dominoeffekt mit epochalen Auswirkungen, wie die österreichischen Historiker Reinhard Jung und Mathias Mehofer aufgrund neuer Forschungsansätze bilanzieren: Die Seevölker lösten eine dauerhafte Krise im östlichen Mittelmeerraum aus.
Diesem Modell zufolge nahm der Seevölkersturm seinen Anfang in Italien und griff dann in einem längeren Prozess nach Osten über, zunächst auf das mykenische Griechenland, dann auf die Imperien Vorderasiens und Afrikas. Wo immer die Seevölker auftauchten, stifteten sie Unruhe, wiegelten sie die Einheimischen auf, provozierten Unruhen und Aufstände. Ãberall kam es zu ähnlichen Entwicklungen: Provinzen fielen ab, Stämme erhoben sich, Bevölkerungsgruppen setzten sich in Bewegung, Auflösungsprozesse begannen. Schritt für Schritt entstand so der Seevölkersturm, der das Gespenst des »dunklen Zeitalters« heraufrief.
Da historische Quellen für diese Zeitphase fehlen, hat man umso mehr die dichterische Quelle â das Werk Homers, das erste Zeugnis vom Gebrauch der Schrift bei den Griechen â nach Anhaltspunkten durchsucht. Das ist plausibel, denn zwischen dem Fall Trojas um 1200 v. Chr. und der Entstehung von »Ilias« und »Odyssee« im achten Jahrhundert v. Chr. liegen eben jene ominösen und »sprachlosen« Jahrhunderte, an deren Kenntnis es den Historikern mangelt. Und in der Tat lassen sich am Widerschein des brennenden Ilion die brüchigen Konturen der Epoche erkennen. Homer ist deshalb prompt zum Dichter des »dunklen Zeitalters« gekürt worden. Aber ein Dichter ist kein Berichterstatter.
Dennoch gibt sein Werk Hinweise, vor allem im Hinblick auf jene Region, in der frühzeitig die Dominosteine gefallen waren: auf die sich neu entwickelnde Welt der Griechen. Die alte Palastkultur der Mykener, definiert
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