Unterwegs in der Weltgeschichte
Zukunft ausgerichtete Religion, die sich in einer Verantwortungsethik verwirklicht. Die Geschichte ist eine Entscheidungssituation, die nur vom Ende her gedacht und bewältigt werden kann. Die Zeit ist nicht mehr chronos , die ablaufende Zeit, die ihre Kinder frisst, sondern kairos , der Moment der Entscheidung.
Die Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten ist nicht auf staatliche Förderung oder gar auf militärische Eroberungen zurückzuführen. Im Gegenteil: Die Zahl der Christus-Anhänger wächst trotz Unterdrückung und Verfolgung. Dabei spielt sicherlich die Faszination für die Person Jesu eine Rolle. Aber die Anmutung eines Heimat gebenden Gemeindelebens dürfte ebenso entscheidend gewesen sein: die Solidarität unter den zumeist armen Mitgliedern und die Atmosphäre von Hoffnung und Zukunftskraft.
Wo immer das Christentum Fuà fassen konnte, veränderte es die Kultur der Bevölkerung. Das Vehikel der Christianisierung war die Bildung; eine ihrer wirksamsten Antriebskräfte waren die Mönche, die in der Geschichtsschreibung meist zu kurz kommen. Die Mönchsorden, die in ihren Klöstern Gemeinschaften bildeten, verankerten Glauben, Kultur und Zivilisation im Leben der Menschen. Benedikt von Nursia wird auf diese Weise Anfang des sechsten Jahrhunderts nicht nur zum Begründer der späteren Mönchsorden, sondern auch der Vater der europäisch-christlichen Kultur. Die Mönche bearbeiteten das Land, kultivierten es, führten landwirtschaftliche Techniken ein und nutzten die Kenntnis des Lesens und Schreibens nicht nur, um die Texte der Bibel abzuschreiben und zugänglich zu machen, sondern gleichzeitig auch, um die ursprüngliche Literatur der christianisierten Völker zu erhalten und zu fördern. Sie beschränkten sich nicht auf religiöse Mission, sondern gaben auch naturkundliches und medizinisches Wissen weiter. Sie überlieferten die Kenntnisse des Ackerbaus, der Obst- und Weinkultur. Sie vermittelten die Kulturtechniken des Lesens und Schreibens und verbreiteten die Kenntnis der lateinischen Sprache, in der ja die Kultur der Griechen und Römer noch lebte. Die Mönche erledigten auch die Schreibarbeit regierender Fürsten, so dass sie im Lauf der Zeit auch Einfluss auf die Politik nehmen konnten.
Weitab von jeder Politik und abseits aller Bildungs- oder Herrschaftsfragen gab es jedoch im Mittelalter auch innerkirchliche Bewegungen, die allein durch ihr Streben nach den urchristlichen Idealen der Nächstenliebe und der Armut Anziehungskraft ausübten und Anhänger fanden. Exponenten dieser Lebensweise waren Franz von Assisi (1181â1226) und die Bettelorden, die durch ihren Verzicht auf Privateigentum der aufkommenden Geldwirtschaft und der Fixierung des Denkens auf Profit entgegensteuern wollten. Für Franz von Assisi war es wichtig, die Kerngedanken des Christlichen aufrechtzuerhalten und mit tätiger Hilfe für Arme und Kranke ein Gegengewicht zur zügellosen Geldgier zu schaffen.
Seine Gedanken fanden auch in Deutschland ein lebhaftes Echo. In Thüringen zum Beispiel übernahm Elisabeth, die junge Frau des Landgrafen Ludwig IV., das Armutsideal des Franz von Assisi. Sie gründete 1223 ein Hospital in Gotha, in dem sie auch selber tätig war. Sie gab sogar Teile ihres Vermögens an die armen Landeskinder weiter. Damit provozierte sie allerdings den thüringischen Hof, der sie nach dem Tod ihres Mannes â er starb 1227 auf einem Kreuzzug â vertrieb. Elisabeth ging nach Marburg, baute dort ein Krankenhaus und pflegte Aussätzige. Als sie starb, war sie gerade 24 Jahre alt. 1235 wurde sie heiliggesprochen. Im Jahr darauf nahm der Stauferkaiser Friedrich II. an der Hebung ihrer Gebeine teil. In einer Mönchskutte folgte er demütig dem Sarg der Fürstin.
15. Helden und Hunnen
D as Lindenblatt war schuld. Es heftete sich auf eine Stelle zwischen Siegfrieds Schulterblättern und hielt das Drachenblut fern, in dem der Held gebadet und sich damit (fast) unverwundbar gemacht hatte. Der zielsichere Hagen von Tronje hatte nun keine Mühe mehr, seinen Erzfeind Siegfried tödlich zu treffen.
Da mag sich die Loreley, da mögen sich andere Sagenheldinnen und -helden noch so anstrengen â Siegfrieds Tod ist so etwas wie die Urszene der deutschen Mythologie, und das »Nibelungenlied« ist nicht zu Unrecht mit dem Ehrentitel einer »deutschen Ilias«
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