Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)
sowjetischen Besatzungszone und über die deutschen Kommunisten. Unsere Gastgeberin war mit uns ein wenig unzufrieden, weil wir nur in der Ecke saßen und redeten, statt zu tanzen. Der junge englische Oxford-Dozent stellte immer neue Fragen, und ich erzählte über meine Erfahrungen mit den Leuten von der KPD , die ich während der Zeit, als ich die FDJ in Schleswig-Holstein zu gründen versuchte, in ihrer Rigidität und Sturheit kennengelernt hatte. Er wiederum erzählte mir von den Veränderungen in Jugoslawien, wo Tito regierte und mit Stalin und dem Sowjetkommunismus gebrochen hatte. Ich müsse mal nach Jugoslawien reisen, um mit eigenen Augen zu sehen, was für Veränderungen Tito dort durchsetze. Das aber erschien mir ziemlich naiv, denn es gab ja für Deutsche keine Reisepässe, wie es auch eigentlich keine deutsche Staatsangehörigkeit gab, sondern bloß die Zugehörigkeit zu einer der Besatzungszonen. Dass ich unter diesen Umständen eine Reisemöglichkeit nach Jugoslawien bekommen könnte, schien ausgeschlossen. Also trank ich noch einen irischen Whiskey, den ich gerade als schick entdeckt hatte, und kehrte endlich aufs Tanzparkett zurück.
Ungefähr zwei Monate später, als ich wieder in Köln im Büro saß, erhielt ich völlig unerwartet einen Telefonanruf. Es meldete sich die jugoslawische Militärmission, die ihren Sitz in Düsseldorf hatte und die Verbindung zwischen der jugoslawischen Armee und den westlichen Besatzungsbehörden darstellte – ein Überbleibsel der militärischen Partnerschaft aus Kriegszeiten. Ich hatte nicht gewusst, dass es so etwas gab, und war völlig überrascht und ein bisschen verunsichert, als man mich zu einem Gespräch einlud. Kühl, aber höflich und ebenfalls ein wenig unsicher, erklärte mir ein ziviler Mitarbeiter der Militärmission – wie ich später erfuhr, ein Mann vom Geheimdienst UDBA –, es liege für mich ein Visum für eine Reise nach Jugoslawien bereit. Er wusste allerdings so wenig wie ich, was das in der Praxis eigentlich bedeutete, wie ich es würde einsetzen können. Es dauerte einige Wochen, in denen ich mit den jugoslawischen Stellen und der britischen Militärverwaltung nach Lösungen suchte. Schließlich waren die Engländer bereit, mir in einem Ausweis zu bescheinigen, dass ich ein Einwohner der britischen Besatzungszone von Deutschland sei, während die Jugoslawen mir versicherten, dass ich mit diesem Dokument die Grenze überschreiten dürfe.
Mit dieser Nachricht, dass ich, ganze einundzwanzig Jahre alt, als erster deutscher Journalist aus Jugoslawien berichten dürfe, saß ich dann dem Intendanten Hanns Hartmann an seinem Schreibtisch gegenüber. Das Gespräch, von dem ich eher eine Ablehnung erwartete, war ziemlich kurz: »Gehen Sie zur Kasse und lassen Sie sich 5000 D-Mark auszahlen, und dann schauen Sie mal, wie lange Sie da unten davon leben können.« 5000 D-Mark, das war damals nicht nur für mich viel Geld. Aber schließlich hatten wir nicht die geringste Vorstellung davon, wie mein Aufenthalt in Jugoslawien aussehen würde, was Fahrkarten und Hotelunterkunft kosteten. Es gab auch weder Bankverbindungen zwischen Deutschland und Jugoslawien noch eine deutsche diplomatische Vertretung in Belgrad, die mir im Notfall aushelfen konnte. Deshalb, so gab Hartmann mir mit auf den Weg, solle ich gleich nach meiner Ankunft feststellen, was die Rückfahrt kosten würde, und das Geld dafür sorgfältig zurücklegen. Das Ganze war ein unberechenbares Unternehmen, aber auch ein verheißungsvolles Abenteuer.
Gottes eigenes Panoptikum
Erste Auslandsreportagen 1950–1954
Auf mich schien allerdings niemand mit besonderem Interesse gewartet zu haben, als ich mich im Frühjahr 1950 in Belgrad bei der Presseabteilung des Außenministeriums vorstellte. Man teilte mir lediglich mit, in welchem Hotel ein Zimmer für mich gebucht sei und dass ich mich zwei Tage später wieder beim Außenministerium vorstellen solle. Immerhin hatte ich Glück: In der Hotelhalle saß der Korrespondent einer großen Schweizer Zeitung, ein älterer Mann mit langjähriger Erfahrung, der in den dreißiger Jahren als Emigrant aus Berlin nach Bern gekommen war und dann nach Kriegsende regelmäßig als Korrespondent nach Jugoslawien reiste. Kurz darauf traf ich noch den Kollegen einer weiteren Zeitung aus der Schweiz, einen hochintelligenten ehemaligen Trotzkisten, der im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft hatte, und schließlich als dritten ausländischen Journalisten einen jungen
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