Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)
Engländer. Wir vier waren eine seltsame kleine Gruppe, verbunden durch unsere politische Neugier und die wenig erfolgreichen Bemühungen, Kontakte mit Politikern, Beamten und Wirtschaftsleuten vor Ort herzustellen.
Jugoslawien, das sich zu Beginn der fünfziger Jahre dem dominierenden Einfluss Stalins entziehen wollte, war immer noch ein kommunistisches, sowjetisch geprägtes Land, streng überwacht durch die Geheimpolizei. Hinter den Kulissen tobte zu der Zeit ein innerparteilicher Machtkampf. Ministerpräsident Tito und seinen Kameraden aus dem Partisanenkampf des Zweiten Weltkriegs standen die Funktionäre aus der Parteibürokratie gegenüber, die sich und ihr Land dem Moskauer Herrschaftsbereich anpassen wollten. Alle meine Begegnungen mit jugoslawischen Offiziellen vollzogen sich daher in einer Atmosphäre der Doppeldeutigkeit und Vorsicht. Gleichgültig, ob wir über Weltpolitik, Industrialisierung oder die Landwirtschaft in den neuen Kollektivbetrieben sprachen – alles, was man mir erzählte, schien weniger meiner Information zu dienen, als vielmehr von den taktischen Auseinandersetzungen im Parteiapparat bestimmt zu sein. Wenn wir mit einheimischen Journalistenkollegen zusammen aßen und dabei mitunter reichlich Sliwowitz tranken, waren wir uns sympathisch, manchmal fast wie Freunde, aber sobald wir über Innen- oder Außenpolitik sprachen, wurde die Atmosphäre kühl und berechnend. Für mich hatte man einige Reisen vorbereitet, bei denen ich außerhalb von Belgrad und zum Teil weiter entfernt, in Montenegro und Mazedonien, landwirtschaftliche und industrielle Großbetriebe sowie Stadt- und Ortsverwaltungen besichtigen durfte. Offene Gespräche, etwa mit Studenten an den Universitäten, kamen dabei aber nie zustande. Unterwegs saß ich häufiger abends mit dem offiziellen Begleiter und dem Fahrer zusammen und versuchte ein bisschen mehr über das Leben in Jugoslawien zu erfahren. Über Politik hörte ich wenig Neues, weil sie Titos Rolle zwischen Stalins Sowjetunion und dem amerikanisch geführten Westen selbst nicht einschätzen konnten und über die Spannungen in der jugoslawischen Führung nicht reden wollten. Doch über den Alltag und seine Schwierigkeiten, über ihre Hoffnungen und ihre Befürchtungen redeten sie ziemlich offen mit mir.
So mühsam die Arbeit war, so spannend war die Frage, welchen Kurs ein von Moskau unabhängiges Jugoslawien einschlagen würde – falls eine solche Selbständigkeit überhaupt möglich war. Denn immer noch bestand die Gefahr, dass die sowjetische Armee von den Nachbarländern Ungarn oder Rumänien aus nach Jugoslawien einrücken könnte. Das, so unsere damalige Einschätzung, hätte nicht zu einem schnellen Sieg des Moskauer Lagers geführt, sondern zu einer Wiederbelebung des blutigen Partisanenkriegs, mit dem sich Tito und seine Anhänger lange und heftig zur Wehr setzen würden. Mit meinen Berichten wollte ich den deutschen Hörern verständlich machen, welche Chancen die jugoslawische Entwicklung für Osteuropa bieten könnte, aber auch welche Gefahren damit verbunden waren. Allerdings blieb es schon technisch außerordentlich schwierig, mit diesen Informationen die Redaktion in Deutschland überhaupt zu erreichen. Telefonisch oder fernschriftlich war nichts zu machen. Ich wäre völlig abgeschnitten gewesen, wenn mir nicht die beiden Schweizer Kollegen geholfen hätten. Sie waren schon seit Monaten in Belgrad, kannten halblegale Verbindungswege und schleusten so dreimal ein Manuskript von mir über ihre Schweizer Redaktionen zum WDR nach Deutschland. Da aber auch sie nicht riskieren konnten, für mich Geld über die Grenzen nach Belgrad zu bringen, war klar, dass mein Aufenthalt schon bald zu Ende gehen würde.
Im Hotel Majestique wohnten fast ausschließlich Geschäftsleute aus dem Westen. In der undurchsichtigen Situation, in der sich Jugoslawien befand, sondierten sie die Möglichkeiten, diesen selbständigen kommunistischen Staat durch Finanz- und Handelsbeziehungen zu erschließen. Manche von ihnen erschienen mir als reichlich zwielichtige Gestalten der internationalen Finanzwelt. Bei den Millionengeschäften, die sie durchzuziehen versuchten, spielten die hohen Hotel- und Reisekosten offensichtlich keine Rolle. Gelegentlich wurden wir Korrespondenten von einem fast siebzigjährigen Amerikaner eingeladen, einem Arzt, der Jahre zuvor Tito behandelt hatte und nun als eine Art Dauergast des Staatschefs im Hotelrestaurant seine Rechnungen bloß abzuzeichnen
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