Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)
die Parteien eine bessere Lösung war als die sogenannte englische Militärdiktatur.
Ich war dankbar, dass ich nicht in Hamburg, sondern in der Kölner Redaktion saß, wo Intendant Hartmann die Unabhängigkeit der Rundfunkarbeit hoch einschätzte und sich zugleich auf die Machtspiele der Parteien und Aufsichtsgremien verstand – jedenfalls einige Jahre lang, bis ihn die Politiker abschossen und in Pension schickten. Bis dahin allerdings blieb ihm ausreichend Zeit, um den WDR zu einem starken und selbständigen Sender auszubauen. In Hamburg folgte auf die große Entlassungswelle glücklicherweise doch der Wiederaufbau der Redaktionen und schließlich auch die Rückkehr einiger der besten und interessantesten Rundfunkjournalisten, deren Rauswurf rückgängig gemacht worden war. Von nun an gab es freilich regelmäßig Attacken aus dem Bundeskanzleramt und Kritik an allen, die Adenauers Einfluss auf den Rundfunk zu begrenzen versuchten. Immerhin aber saß jetzt in der Presse wie im Rundfunk eine neue Generation von Journalisten an den Redaktionstischen und in den Chefsesseln, von denen viele zwischen 1925 und 1929 geboren waren. Diese »Fünfundvierziger«, die nach dem Zusammenbruch des NS -Staats und seiner Ideologie eine neue Welt zu entdecken und aufzubauen begannen, konnten in den folgenden Jahren einen unabhängigen journalistischen Stil entwickeln, wie es ihn vorher in Deutschland nicht gegeben hatte. Sie verteidigten die Grundzüge von unabhängiger Recherche und Kritik gegen einen allzu staatsnahen Journalismus, der sich im Laufe des nächsten Jahrzehnts bei einigen Verlagsgruppen und Rundfunkgremien zwischen Hamburg und München wieder durchsetzen sollte – ganz im Sinne des Bundeskanzlers Konrad Adenauer.
Ich war einer der jüngsten unter den Neulingen des Nachkriegsjournalismus. Ein Aufstieg in der Hierarchie kam aufgrund meines Alters erst einmal nicht in Frage, außerdem hatte ich wenig Lust auf Schreibtischarbeit. Ich wollte mir viel lieber anschauen und davon berichten, wie es im Rest der Welt aussah. Eigentlich hatte kaum einer von den Kollegen wirkliche Erfahrungen damit, wie es außerhalb von Deutschland zuging. Im Ausland war diese Generation nur in Uniform gewesen, schwer belastet mit den Vorurteilen der deutschen Kriegspropaganda, meist hochmütig auf die besetzten Länder, ihre Kultur und Lebensweise herabblickend. Nun war ich schlichtweg neugierig und wollte selbst erfahren, wie man in anderen Gesellschaften lebte, im Westen wie im Osten. Das freilich war zu dieser Zeit fast unmöglich. Es gab keine deutschen Pässe. Wir bekamen keine Visa und keinerlei Devisen, mit denen wir reisen konnten. Auch ich hatte bis dahin Ausländer praktisch nur in Uniform gesehen. So war es für mich der größte Glücksfall, dass mir die abziehenden englischen Kontrolloffiziere eine Einladung nach London hinterließen: zum Deutschen Dienst der BBC , dessen Kommentatoren ich ein paar Jahre vorher noch heimlich und nur ganz leise zugehört hatte und die ich immer noch bewunderte.
In London war man neugierig auf einen jungen Deutschen von knapp einundzwanzig Jahren. So lief ich im Sommer 1949 mit weit aufgerissenen Augen durch London und verwirrte die ernsthaften englischen Kollegen mehr als einmal durch die Leute, die ich kennenlernte: einen jungen englischen Kommunisten, einen älteren Guru der Gewaltlosigkeit und des Anarchosyndikalismus, einen brillanten Schriftsteller, Cyril Connolly, den ich in der Redaktion seiner hochintellektuellen Zeitschrift Horizon besuchte. Aber natürlich ging ich – mit dem bisschen Geld, das ich hatte – auch mal im Künstlerviertel Soho in eine Bar oder in der City of Westminster in einen Ballroom, ein großes, schickes Tanzlokal voll von jungen Menschen. Eines Abends tanzte ich dort mit einer netten jungen Amerikanerin, die sich mit einer Gruppe von Freunden amüsierte. Ich verstand mich gut mit ihnen, wir trafen uns noch einmal in einem anderen Ballroom, und dann lud sie mich zu einer Party nach Hause ein.
Ihr Zuhause entpuppte sich zu meiner Überraschung als die amerikanische Botschaft. Und sie war die Tochter des Botschafters. Ich war ziemlich beeindruckt und ein bisschen eingeschüchtert von den anderen Gästen, aber die zogen mich in ihre Gespräche hinein, neugierig darauf, sich zum ersten Mal mit einem jungen Deutschen zu unterhalten. Einer verwickelte mich in eine lange Diskussion über die politische Situation in Deutschland, besonders über die Entwicklung in der
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