Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)
Beide verließen sich mehr auf Menschenkenntnis, Instinkt und Erfahrung als auf die bürokratischen Methoden der Entnazifizierungsprozesse – was später zu harten Auseinandersetzungen darüber führte, welche Nähe zu den Zeitungsredaktionen und Propagandabehörden der Nazizeit als Belastung noch erträglich sei. Das betraf nicht zuletzt meinen neuen Chef, Werner Höfer, den Hartmann trotz solcher Bedenken eine Woche zuvor angestellt hatte. Höfer sollte ein regionales Hörfunkmagazin für Nordrhein-Westfalen entwickeln, und ich sollte als Assistent praktische Erfahrungen sammeln. Bei diesen drei Männern, so unterschiedlich sie waren, fühlte ich mich in der fremden Stadt gut aufgehoben.
Einfach war das Leben dennoch nicht. Der Intendant bewohnte ein Zimmer mit fließend kaltem Wasser in einem christlichen Hospiz gegenüber dem legendären Gefängnis Klingelpütz. Werner Höfer, der spätere Erfinder und Moderator des Internationalen Frühschoppen , wohnte mit seiner Frau und zwei kleinen Töchtern in einer Garage. Ich bekam ein Monatsgehalt von 300 Reichsmark. 75 Mark gingen für das möblierte Zimmer am Stadtrand ab. Der Rest langte gerade für die Straßenbahn und fürs Essen, das in der kleinen Funkhaus-Kantine billig, aber nicht reichlich war. Einige der Kölner Kollegen waren hilfsbereit, wenn es darum ging, in den kleinen Lebensmittelgeschäften etwas »unter der Theke zu organisieren«. Gegenüber vom Funkhaus befand sich eine Bäckerei, die ohne allzu große Heimlichtuerei selbstgebrannten Schnaps im Angebot hatte. Aber als junger Fremder aus Norddeutschland hatte ich es doch schwer, wie die echten Kölner vom »Maggeln«, von Beziehungen, zu leben.
Geld spielte also keine große Rolle, weder beim Essen noch bei der Kleidung. Alles, was es nicht auf Lebensmittelmarken gab, war für uns zu teuer, und neue Anzüge erst recht. Solange ich zur Schule gegangen war, bis zur Einberufung in die Wehrmacht, hatte ich überhaupt nie lange Hosen getragen. Das galt unter meinen Freunden als bürgerlich und spießig. Danach hatte ich zwei Anzüge von meinem Großvater geerbt, nicht gerade schick, aber durch Änderungen angepasst, dazu zwei Paar Schnürstiefel und für ganz schlechtes Wetter alte Reitstiefel, die der Großvater schon als Kavallerist im Ersten Weltkrieg getragen und weiter liebevoll gepflegt hatte. Natürlich sah ich, dass es manchen Leuten viel besser ging, aber das schien mir eher eine Nebensache, während Diskutieren, Lesen und das Schreiben meiner Berichte das wirkliche Leben bedeuteten.
All das sollte sich aber bald ändern, und zwar buchstäblich über Nacht: Mit einem Mal war das Geld wieder etwas wert. Am 20. Juni 1948 hatte noch die alte Reichsmark gegolten, am nächsten Tag bereits konnten ihre wertlos gewordenen Scheine in die neuen D-Mark-Noten umgetauscht werden – allerdings limitiert: Nur ganze vierzig Reichsmark durfte ein Bürger in die neue D-Mark-Währung umtauschen. Wer indes vorher Wertsachen versteckt hatte, konnte sie jetzt in Geld verwandeln, mit dem man wieder etwas kaufen konnte. Schlagartig begannen die Unterschiede zwischen Arm und Reich von neuem das Leben zu bestimmen.
Es kehrte eine gewisse Normalität ein, ohne dass mir dieser Wandel gefallen hätte. Das galt auch für manche Veränderungen in der politischen Landschaft. Hugh Carlton Greene und die englischen Kontrolloffiziere traten im Herbst 1948 ab. Ihre Zeit war vorüber, die neu entstehenden politischen Parteien und Organisationen mussten eigene Führungsstrukturen erfinden und sich ihren Einfluss auf die öffentliche Meinung sichern. Mich erschreckte, mit welcher Härte auch in Presse und Rundfunk um strukturelle Veränderungen gestritten wurde und wie viel Bedeutung die Parteizugehörigkeit plötzlich bekam.
Im Nordwestdeutschen Rundfunk ging es zunächst darum, aus der einheitlichen Sendeanstalt, die die Briten von Hamburg aus gesteuert hatten, eine Konstruktion zu schaffen, in der das neu entstandene Land Nordrhein-Westfalen sein eigenes Sendegebiet möglichst weitgehend kontrollieren konnte. Das Hamburger Mutterhaus, das bis dahin über Form und Inhalt des Gesamtprogramms entschieden hatte, musste seine Vorherrschaft einschränken lassen, während der Intendant Hartmann mehr Sendezeit für Köln erkämpfte. Für mich war das ein großer Vorteil, denn so konnte auch ich mehr Sendungen machen, und zwar über sehr verschiedene Themen, an die ich unter all den Profis in Hamburg selten herangekommen wäre. Das
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