Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)
änderte aber nichts daran, dass die Auseinandersetzungen in Hamburg mir eindeutig missfielen. Die Vereinnahmung durch die Parteien erschwerte die Arbeit gerade jener Rundfunkjournalisten, die ich am meisten bewunderte. Axel Eggebrecht, Ernst Schnabel und Peter von Zahn verloren an Einfluss und Entscheidungsfreiheit. Karl Eduard von Schnitzler, vom Sohn eines Kölner Bankhauses zum kommunistischen Leitartikler konvertiert, bekam keine Kommentartermine mehr und setzte sich zum Rundfunk in der sowjetischen Besatzungszone ab.
Mehr noch verärgerte und beunruhigte mich das Vorgehen gegen einen Kollegen von der Rundfunkschule, den ich als nachdenklich und ehrlich kennengelernt hatte, der aber nun als bekennendes Mitglied der KPD entlassen wurde. Ich versuchte, bei den englischen Kontrolloffizieren eine Revision der Entscheidung zu erreichen, und wandte mich auch an einige deutsche Vorgesetzte, besonders an Axel Eggebrecht, dem ich einen mehrseitigen Brief schickte. »Die Entlassung scheint mir sehr problematisch, die außergewöhnliche Lage mag jedoch außergewöhnliche Entscheidungen fordern«, schrieb ich. »Im Fall von G.S. scheint mir eine solche Maßnahme jedoch nicht angebracht zu sein. Ich lernte ihn auf der Rundfunkschule kennen und mochte seine sachliche Art zu diskutieren von Anfang an gerne. Er stand dabei in der ersten Zeit durchaus auf dem Standpunkt des dialektischen Materialismus und bekannte sich offen zu den Zielen der KP … Bei Gesprächen über Marxismus und Kommunismus fiel mir auf, wie sachlich er reagierte und wie aufgeschlossen er Argumenten gegenüber war. Ich nehme an, daß er schon vorher Zweifel an der Doktrin der KP gehabt hat, jedenfalls konnte ich bemerken, daß er in keiner Weise fanatisch oder dogmatisch am Kommunismus hing.« Ich weiß bis heute nicht, ob zu diesem Zeitpunkt schon eine endgültige Entscheidung gefallen war, tatsächlich aber musste der Kollege die Rundfunkschule verlassen – immerhin ohne dass er öffentlich als KP -Mann verurteilt wurde. Er fand schließlich eine Position in einem DGB -nahen soziologischen Forschungsinstitut, ehe er nach England übersiedelte. Ich war enttäuscht und fürchtete, dies könne der Anfang einer verschärften politischen Säuberung sein.
Im Nordwestdeutschen Rundfunk hatte Ende 1948 ein neuer Generaldirektor die Leitung übernommen. Adolf Grimme war ein angesehener sozialdemokratischer Kulturpolitiker aus der Weimarer Republik, stand aber trotz allem guten Willen der veränderten Rundfunklandschaft und ihren Journalisten fremd gegenüber. Das Rundfunkgerät müsse werden, was einst die Petroleumlampe gewesen sei, der Mittelpunkt der häuslichen Familie, hatte Grimme verkündet. Einer der leitenden Redakteure hatte diesen Spruch aufgenommen und ergänzt: »Die Lampe blakt – ausputzen, ausputzen!« Grimme machte ihn bald zum Intendanten des NWDR -Hamburg. Herbert Blank war ein interessanter Einzelgänger, ein ziemlich kleiner, kahlköpfiger Mann, der nur keuchend sprach, weil seine Stimmbänder bei einem Gasangriff im Ersten Weltkrieg beschädigt worden waren. Seine Geschichte war höchst ungewöhnlich. In den zwanziger Jahren war er in der NSDAP ein verehrter Mann gewesen, der Essays und Bücher über Treue und Ehre verfasst hatte. Dann, um 1930 , schrieb er ein Buch mit dem Titel Hitler – Wilhelm III . , das auf bitter-satirische Weise Hitlers politisches Denken auseinandernahm und karikierte. Nach Hitlers Machtübernahme saß Blank bis zum Ende des Kriegs im KZ , in einer Art Ehrenhaft, aber doch als Häftling. Danach hatten seine Veröffentlichungen zum Thema »Direkte Demokratie statt Parteienherrschaft« harte Diskussionen ausgelöst. Seine Gegner sahen in Blank eine Art diktatorischen Linksfaschisten. Dass ihn Grimme, der gestandene Sozialdemokrat, als Intendanten im Funkhaus Hamburg einsetzen wollte, verblüffte uns alle. Der hoffte jedoch, in diesem ihm fremden Haufen von Intellektuellen und Journalisten jemanden zu finden, der klare Entscheidungsprozesse durchzusetzen vermochte – und er hatte scheinbar den richtigen Mann gefunden: Auf einen Schlag entließ Blank 51 leitende Mitarbeiter der Redaktionen und Verwaltung mit der knappen Begründung »grundsätzlicher Reorganisationsmaßnahmen« – darunter fast alle Kollegen, die ich besonders schätzte. Dass er mit Genehmigung des neuen, demokratischen Generaldirektors zu einem solchen Kahlschlag fähig war, ließ mich dann endgültig zweifeln, ob die neue Machtverteilung auf
Weitere Kostenlose Bücher