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Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Titel: Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruge
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und nicht zu bezahlen brauchte. Offenbar suchte er die Nähe der jugoslawischen Freundin meines englischen Kollegen. Sie war eine hübsche Balletttänzerin und die einzige Jugoslawin in Belgrad, zu der wir eine Art freundschaftliche Beziehung unterhielten – bis wir entdeckten, dass sie gleichzeitig die Geliebte eines höheren Geheimdienstoffiziers war.
    Eines Abends rief mich der Portier des Hotels an und sagte, ich würde in der Lobby von einem Mann aus Deutschland erwartet. Wir trafen uns dann in der Bar, beide ein wenig zurückhaltend, und er stellte sich vor: Wolfgang Leonhard. Ich hatte schon von ihm gehört, dachte aber, er lebe noch im Osten Berlins. Als einer der zehn Mitglieder der sogenannten Gruppe Ulbricht war er unmittelbar nach Ende der Kriegshandlungen aus der Sowjetunion nach Ostdeutschland gekommen. Diese kleine Gruppe deutscher kommunistischer Funktionäre sollte den Kern einer politischen Neuorganisation bilden. Wolfgang Leonhard war in der Sowjetunion aufgewachsen, nachdem seine kommunistische Mutter mit ihm vor der Verfolgung in Hitlerdeutschland geflohen war. In der DDR sollte er die Jugendarbeit organisieren und ideologisch verankern. Doch er war ernüchtert von den stalinistischen Verhältnissen und schließlich 1949 aus Ost-Berlin geflohen. Statt allerdings zum »westlichen Klassenfeind« überzulaufen, reiste er über die Tschechoslowakei nach Jugoslawien, in der Hoffnung, im Titoismus eine bessere Variante des marxistischen Sozialismus zu finden. Schon 1950 aber ging er doch in den Westen und beschrieb einige Jahre später den politischen Zustand der Sowjetunion in seinem berühmten Buch Die Revolution entlässt ihre Kinder . Bei aller Vorsicht, die wir uns in unserem ersten Gespräch in Belgrad auferlegten, war dies doch der Anfang einer langen Freundschaft. Seine Freundin erzählte mir später, Wolfgang habe an diesem Abend nachdenklich zu ihr gesagt: »Für einen Westdeutschen ist dieser Ruge doch ziemlich fortschrittlich.«
    Jedenfalls war ich fest entschlossen, neugierig zu bleiben und meine Urteile nicht in erster Linie auf den Berichten und Erfahrungen anderer aufzubauen. Was ich schließlich aus Jugoslawien mitbrachte, waren daher vielleicht keine tiefschürfenden Analysen, aber dafür erste Augenzeugenberichte aus einer osteuropäischen, kommunistischen Welt im Umbruch. Außerdem wusste ich nun, dass man mit einigem Glück und trotz aller Schwierigkeiten auch als junger Deutscher fünf Jahre nach dem Krieg fremde Länder und Gesellschaften aus der Nähe kennenlernen konnte.
    Ich war erst zweiundzwanzig, als ich mich 1950 um eine Amerikareise bewarb, zu der das US -Außenministerium ein halbes Dutzend Rundfunkjournalisten aus Deutschland einladen wollte. Vor der amerikanischen Auswahlkommission äußerte ich ganz schlicht und offen meinen Wunsch, das Land mit eigenen Augen zu sehen, was anscheinend gut ankam. Dass ich nach dem Kurs in der Dolmetscherschule ziemlich gut Englisch sprach, war sicher auch ein Pluspunkt. Und da es bei den Amerikanern eine gewisse Neugierde auf die allerjüngste deutsche Journalistengeneration gab, gehörte ich schließlich zusammen mit sechs Kollegen zu der Gruppe von Radiojournalisten, die nun erstmals nach Kriegsende eine Einladung für eine mehrwöchige Reise ins Gelobte Land bekamen.
    Vor der großen Überfahrt von Bremen nach New York suchte meine Mutter für mich auf dem Dachboden Knickerbocker-Hosen und Shuffleboard-Schläger heraus, schicke Sportgeräte, die sie noch von den Seereisen mit ihrer Mutter kannte. Die Schläger ließ ich allerdings über Bord fallen, sobald das Schiff aus der Wesermündung in die Nordsee bog. Auf dem amerikanischen Truppentransporter hätten die Soldaten nur darüber gestaunt und gelacht, und in der Sechserkabine mit den doppelstöckigen Betten wäre es mir wohl kaum gelungen, die Schläger vor den mitreisenden Soldaten zu verstecken. Wir hatten unsere Kojen im Mannschaftsdeck, aber Kontakte mit den GI s gab es kaum. An Gesprächen mit Deutschen waren die meisten nicht besonders interessiert. Ihre Zeit in Europa war vorbei, nun unterhielten sie sich über ihre Zukunft in Amerika. Die deutschen Kollegen in unserer Gruppe waren viel älter und erfahrener als ich, aber gegenüber den amerikanischen Soldaten eher unsicher und überheblich.
    An einem frühen Nachmittag lief unser Schiff in den Hudson River ein. Wir standen an der Reling und staunten über die New Yorker Wolkenkratzer-Kulisse. Ein Bus brachte uns

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