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Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Titel: Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruge
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allerdings, ob Adenauer nicht seine ganze außenpolitische Strategie aufgegeben habe, indem er auf ein Ehrenwort hin die Aufnahme diplomatischer Beziehungen akzeptierte.
    Ein letzter Verhandlungstag musste nun noch der klärenden Auseinandersetzung über Formulierungen dienen. Es scheint, als seien Chruschtschow, Bulganin und Adenauer von der Wirkungskraft diplomatischer Vorbehaltsklauseln weniger überzeugt gewesen als ihre Außenminister und die Experten, die noch einige Stunden lang konferierten und über den Text der Briefe verhandelten, die als Konferenzergebnis ausgetauscht werden sollten. Die Formulierungen, auf die sie sich einigten, wirkten letztlich unverbindlich. Die Aufnahme normaler Beziehungen, »die zur alsbaldigen Wiederherstellung eines deutschen demokratischen Staates« beitragen würden, war eine Wendung, auf der die deutsche Seite ursprünglich hatte bestehen wollen, doch die sowjetischen Unterhändler waren auf keinen Fall bereit, das Wort »alsbaldig« zu akzeptieren. Die Entlassung der letzten deutschen Kriegsgefangenen wurde überhaupt nicht erwähnt. Bei den Trinksprüchen des Abschlussbüfetts hörte ich, wie Adenauer sagte, leider müsse er wohl seine Karte für das Ballett »Schwanensee« verfallen lassen, weil kein Ergebnis in Sicht sei. Aber dann fuhr er doch noch ins Bolschoi-Theater. Den Brief mit den deutschen Vorbehalten, die das Alleinvertretungsrecht der Bundesrepublik für ganz Deutschland und die Vorläufigkeit der Grenzen darlegten, hat er irgendwann spätnachts oder am nächsten Morgen vor der Abfahrt ohne Zeremonie unterzeichnet.
    Ich verbrachte den Abend des vierten und letzten Verhandlungstages mit drei Kollegen im Hotelzimmer. Wir schrieben auf, was wir an Informationen oder Gerüchten tagsüber gesammelt hatten, und verglichen, was an Hinweisen im Umlauf war. Vieles war Spekulation, einiges gezielte Stimmungsmache, Fakten und Zitate fehlten ganz. Die Delegationsmitglieder, die bei der Formulierung der Abschlussdokumente mitgemacht hatten, waren für uns Journalisten unerreichbar. In diesen Nachtstunden erfuhr ich wieder einmal, dass es meist mehr Fragen gab als Antworten und dass auch diese Antworten wiederum oft fragwürdig blieben. Aus den offiziellen Verlautbarungen am Tag danach ließ sich ebenfalls nicht wirklich ablesen, was sich durch die Moskauer Entscheidungen im Verhältnis zwischen Deutschen und Russen verändern würde. Die Gewinner waren zweifelsohne die Kriegsgefangenen, die von ihren Lagerkommandanten schon auf die Entlassung vorbereitet worden waren und wenige Wochen später in der Bundesrepublik eintrafen. Jubel und Anerkennung für Adenauers Befreiungsaktion waren in der Bundesrepublik gewaltig. In den sowjetischen Zeitungen dagegen war zu lesen, dass die Kriegsgefangenen aufgrund der Bitte des Präsidenten der DDR , Wilhelm Pieck, begnadigt worden seien.
    Adenauers Moskaureise markierte letztlich keineswegs den Anfang neuer Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik. Bereits wenige Tage nach dem Ende der Gespräche war das Verhältnis zwischen Bonn und Moskau so formell und distanziert wie vorher, und so sollte es auch noch mehr als ein Jahrzehnt bleiben. Drei Jahre lang verhandelte man in den beiden Hauptstädten weiter über juristische Feinheiten der Konsular- und Handelsverträge. Über die Wiedervereinigung konnte überhaupt nicht gesprochen werden. Die diplomatischen Beziehungen mit Moskau blieben ein Sonderfall: Bonn akzeptierte sie nur, weil die Sowjetunion als Siegermacht gewisse Sonderfunktionen im ganzen geteilten Deutschland hatte. Ansonsten galt die Regel: Ein Land, das die DDR anerkannte, durfte keine diplomatischen Beziehungen mit der Bundesrepublik unterhalten.
    Mit einer solchen Entwicklung hatte ich nicht gerechnet, als ich mich gleich nach der Rückkehr bemühte, als erster ständiger Korrespondent aus Westdeutschland ein Visum für die Sowjetunion zu bekommen. Jetzt, da die letzten deutschen Kriegsgefangenen von Adenauer endlich aus der Sowjetunion herausgeholt worden waren, konnten die meisten meiner Kollegen und Freunde nicht recht verstehen, dass ich freiwillig nach Moskau umsiedeln wollte. Aber ich war überzeugt davon, dass Moskau zwar nicht gerade der angenehmste, aber sicherlich einer der spannendsten Korrespondentenposten war, den man in diesen Jahren bekommen konnte.
    Der neue Chef des Bundespresseamts war immerhin bereit, bei einer Flasche Wein meinen Plan zu diskutieren. Er gab sich jedoch skeptisch: Die

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