Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)
Mitarbeiter der staatlichen Reiseorganisation Intourist holten uns westliche Passagiere ab und brachten uns durch den Zoll direkt zu den Autos. Auf mich wartete eine große schwarze SIL -Limousine, ein Wagen, wie ihn auch Regierungsmitglieder benutzten. Wie schon während des Adenauer-Besuchs sollte ich im Hotel National wohnen. Dieses Mal aber erschrak ich beinahe, als man mich in mein Quartier führte: Es war eine Suite mit drei Räumen, alles Plüsch vom Feinsten, mit Landschaftsgemälden berühmter Maler des 19. Jahrhunderts und einem die Wand beherrschenden Lenin-Porträt. Ich habe nie herausbekommen, warum man mich ausgerechnet in diesen Räumen unterbrachte, in denen einmal der große Revolutionär selbst gewohnt hatte und die seither als Lenin-Suite geführt wurden. Es war mir jedenfalls ein bisschen unheimlich. Aber ich wusste auch, dass ich hier nicht lange wohnen konnte, denn meine Intourist-Gutscheine reichten nur für drei Wochen. In der Zeit, so hatte es sich der WDR überlegt, würde ich eine Wohnung finden können.
Doch ganz so einfach war die Suche nicht, und als ich nach vierzehn Tagen noch immer in der Lenin-Suite saß, wurde das auch dem Hoteldirektor suspekt. Er bat mich in sein Büro. »Sie wohnen jetzt schon zwei Wochen hier«, sagte er. »Bleiben Sie denn länger in Moskau?« Er war demnach keineswegs so gut informiert, wie ich das vom Apparat des sowjetischen Geheimdienstes erwartet hatte. Ich antwortete ihm, dass ich ein unbefristetes Visum hätte und vielleicht ein paar Jahre in der Sowjetunion verbringen würde. Der Direktor war sichtlich erschrocken. Es sei völlig unmöglich, dass ich als Dauergast in seinem Hotel bliebe. Mir war das ganz recht, denn ich hoffte, in ihm einen Verbündeten bei meiner Wohnungssuche zu finden.
Von meinen englischen Kollegen hatte ich erfahren, dass kurz vorher ein amerikanischer Korrespondent abgereist war und dass sein Apartment noch leer stand. Es lag allerdings ein gutes Stück außerhalb der Innenstadt, und man brauchte einen Wagen und einen russischen Führerschein, wenn man dort leben und arbeiten wollte. Tatsächlich schlug der Hoteldirektor den Umzug in diese Unterkunft vor – er hatte deswegen bereits mit dem UPDK , der Dienststelle für die Unterbringung und Versorgung des diplomatischen Korps, verhandelt. Ich hatte allerdings etwas anderes im Auge, das Hotel Metropol. Kollegen aus Frankreich und Italien hatten dort im Obergeschoss ihre Büros und Wohnräume, die Zimmer waren zwar nicht so nobel, dafür aber praktisch. Der Direktor meines Hotels war erleichtert, als ich ihm davon erzählte. Ich hatte richtig vermutet: Von Direktor zu Direktor konnte er erfolgreich verhandeln, ich zog ins Metropol, und ihm stand seine Edelsuite wieder zur Verfügung. Etwas später bewohnte sie der erste deutsche Botschafter in Moskau, Wilhelm Haas, während er auf Residenz und Bürogebäude wartete. So sah ich sie noch ein zweites Mal: Auf Büttenpapier hatte mir der Botschafter eine Einladung zu einem Abend der kleinen westdeutschen Kolonie in Moskau geschickt, und so saßen wir dann zu zweit unter Lenins Porträt und aßen Kaviar und Bœuf Stroganoff aus der Hotelküche.
Ich versuchte mich in der schwer durchschaubaren sowjetischen Welt zu orientieren. Von meinen Kollegen wusste ich, dass es strenge Verbotsregeln gab und eine Überwachung, die zwar lückenlos schien, aber gleichzeitig unberechenbar war. Kam ich nach dem Abendessen in meine Räume zurück, klingelte nach wenigen Minuten das Telefon. Nahm ich den Hörer ab, meldete sich niemand. Das kannte ich ja schon von der Reise mit Adenauer. Irgendjemand – und das konnte nur der KGB sein – wollte prüfen, ob ich wirklich in mein Zimmer gegangen war. Vor dem Hoteleingang warteten auch stets wieder Männer in Ledermänteln, und häufig folgte mir einer von ihnen, wenn ich auf die Straße ging. Er hielt Abstand, trat zurück, wenn ich umkehrte und ihm entgegenging, und drehte sich weg, wenn ich den Fotoapparat hob. Die Männer waren kamerascheu. Einmal suchten zwei von ihnen Deckung im Gemüseladen nebenan, sie spähten minutenlang durch das Ladenfenster und warteten darauf, dass ich endlich weiterging.
Und auf meiner Etage saß auch diesmal eine Frau am Pult, die uns die Zimmerschlüssel gab und notierte, wann man kam und ging. Die meisten dieser Deschurnajas, der »Diensthabenden«, wirkten gleichgültig und mürrisch, aber einmal kam ich mit einer von ihnen ins Gespräch. Sie war besser angezogen als
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