Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)
Katastrophe zu verhindern, und sich damit als klüger erwiesen als ihre Berater. Das mussten schließlich sowohl ihre Anhänger wie auch ihre Kritiker in Amerika und – allerdings erst sehr viel später – in Russland anerkennen.
Als der Wortlaut der Gespräche, die im Weißen Haus mitgeschnitten worden waren, nach vierzig Jahren in Buchform erschien, traf ich mich mit einem ehemaligen amerikanischen White-House-Korrespondenten. Wir verglichen, was wir an jenen kritischen, fast welterschütternden Tagen zu wissen geglaubt hatten und wie wenig am Ende davon stimmte. Auch die engsten Mitarbeiter im Stab des Weißen Hauses hatten nicht gewusst, auf welche Weise die Kennedy-Brüder einen Ausweg aus der Krise finden würden. Wir Journalisten hatten gedacht, aus den Informationen, an die wir oft mehr zufällig herankamen, die Umrisse einer Strategie zu erkennen. Doch am Ende hatten wir uns ein falsches Bild der Krise zusammengesetzt. Diese Erkenntnis machte uns nachdenklich, denn im Grunde hieß das doch auch: Je mehr die Journalisten im Verlauf der Kubakrise erfahren und in die Öffentlichkeit getragen hätten, desto schwerer wäre vermutlich eine friedliche Auflösung der Konfrontation gewesen. So hatte es damals natürlich auch Kennedys Pressesekretär Pierre Salinger gesehen, während wir Korrespondenten der Meinung waren, eine gut informierte Öffentlichkeit sei als Handlungsgrundlage der Politik unabdingbar.
Mit Kennedy war 1960 ein neuer Ton in die Politik gekommen: Er war jünger als seine Konkurrenten und stellte keine politischen Geschenke in Aussicht, sondern sprach stattdessen von einer neuen Grenze (»New Frontier«), die Amerika überwinden müsse, um den Weg in die Zukunft zu meistern. Er hatte brillante Redenschreiber, und ihm standen während des Wahlkampfs Berater zur Seite, die die Bedeutung des neuen Mediums Fernsehen verstanden. Das war schon in der ersten Fernsehdebatte zwischen ihm und seinem republikanischen Kontrahenten Richard Nixon zu sehen. Nixon humpelte wegen einer Beinverletzung zum Mikrofon, er hatte auf die Maske verzichtet, wirkte schlecht rasiert und schwitzte. Kennedy dagegen hatte sich von seinen Beratern überreden lassen, mit einem professionellen Make-up zu kommen. Er sprach lebhaft, wo Nixon schwerfällig und umständlich wirkte. Die Umfragen nach der Sendung waren aufschlussreich: Bei den Fernsehzuschauern hatte Kennedy einen Vorsprung, bei den Rundfunkhörern lag Nixon in den Umfragewerten vor seinem Rivalen oder gleichauf. Diese Debatten waren der Anfang des Fernsehzeitalters in der Politik.
Kennedy musste bei seinem Wahlkampf allerdings eine besondere Hürde überwinden: Er war Katholik. Zwar machten Katholiken ein Viertel der amerikanischen Bevölkerung aus, aber in den meisten Staaten der USA schien es ausgeschlossen, dass entgegen aller englisch-protestantischen Tradition ein Katholik bei Präsidentschaftswahlen die Stimmenmehrheit gewinnen könnte. Im innerparteilichen Wettstreit um die Kandidatur hatte Kennedy es zunächst in den Vorwahlen mit dem erfahrenen und beliebten Senator Humphrey zu tun gehabt, der als sozialliberaler Protestant einen sicheren Vorsprung zu haben schien und ihn gegen den jüngeren, glanzvolleren Kontrahenten doch nicht halten konnte. West Virginia, einer der Staaten an der Grenze zwischen dem Norden und dem Süden der USA , war wegen der Zusammensetzung seiner Bevölkerung besonders schwierig: beinahe 95 Prozent Weiße, überwiegend Farmer und Bergarbeiter, fast ausschließlich Evangelikale oder Protestanten voller Misstrauen gegenüber Großstädtern von der Ostküste. »Wenn Kennedy hier gewinnen kann, kann er überall gewinnen«, sagten die Kollegen im Bus, der uns von Washington nach Charleston, der Hauptstadt von West Virginia, brachte. Für mich war diese Reise 1960 ein wichtiger Vorgriff auf meine spätere Korrespondentenarbeit, bekam ich doch erste Kontakte mit engen Mitarbeitern des zukünftigen Präsidenten. Der kleine Trupp von Kennedys Wahlkampfhelfern, den ich mit einigen Kollegen begleitete, sollte beobachten, ob in West Virginia alles glatt lief. Gerade weil John F. Kennedy in dem Bundesstaat nur eine winzige Chance zu haben schien, galt das Ergebnis als wichtiger Hinweis auf seine Aussichten, falls er für die Demokraten ins Rennen geschickt würde.
Den ganzen Tag über versuchten wir Journalisten ziemlich erfolglos, vor den Wahllokalen mit wortkargen Wählern aus den appalachischen Bergen ins Gespräch zu kommen. Abends saßen
Weitere Kostenlose Bücher