Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)
einige von uns in einem Hamburger-Imbiss zusammen, und auch ein paar Leute aus dem Kennedy-Team gesellten sich zu uns. Zuerst spekulierten wir ausführlich über das mögliche Ergebnis, aber unsere politische Fantasie, was das Wählerverhalten von hinterwäldlerischen Farmern anging, war bald erschöpft. Da die Auszählung erst sehr spät am Abend beendet sein würde, erkundigten wir uns, was es in Charleston an Abwechslung gebe. Das Angebot war jedoch dürftig: lediglich ein Art House, ein Kino, das nicht die üblichen Hollywood-Produktionen zeigte, sondern eher zahme Pornofilme. Wir hingen dort in unseren Sesseln, machten blöde Witze und verärgerten die wenigen einheimischen Zuschauer, die sich über die Arroganz von uns Großstädtern beschwerten. Schließlich kam eine Sekretärin mit dem Wahlergebnis und rief ins fast leere, dunkle Kino, Kennedy habe gewonnen. Noch ehe wir wieder auf der Straße waren, hatten alle ihre Meinung verkündet: Kennedy werde nun bestimmt Präsidentschaftskandidat und dann auch Präsident der USA . Ein Katholik, der in West Virginia eine Vorwahl gewann, konnte die Präsidentschaftswahl nicht verlieren. Diese Prognose sollte sich als zutreffend erweisen, auch wenn das Wahlergebnis im November 1960 am Ende denkbar knapp ausfiel: Kennedy 49,7 Prozent, Nixon 49,5 Prozent der Stimmen – der knappste Vorsprung, mit dem je ein Präsidentschaftskandidat gewonnen hatte.
Der winzige Unterschied von 0,2 Prozentpunkten sollte Amerika innerhalb weniger Monate verändern. Kennedys Vorgänger Dwight D. Eisenhower war Oberkommandierender der amerikanischen Truppen im Zweiten Weltkrieg gewesen, ein eher zurückhaltender Mann und mit 72 Jahren der bis dahin älteste Präsident in der Geschichte der USA . Kennedy war mit 43 Jahren der jüngste. Für die Hauptstadt Washington, die keine andere Tradition als die des Regierungssitzes hatte, brachte das tiefe Veränderungen mit sich: Die Mitarbeiter des Weißen Hauses und der wichtigen Ministerien, aber auch der ganze Anhang von Experten, Beratern, Journalisten und Lobbyisten stellte sich auf die Verjüngung der Politik ein. Washington war immer noch eine Provinzstadt, aber es wurde schick, dort zu wohnen, und die Restaurants schmückten sich neuerdings mit französischen Speisekarten. Ganze Stadtviertel wandelten sich: Der Stadtteil Georgetown, älter als die Hauptstadt Washington selbst, war fast ausschließlich von Schwarzen bewohnt gewesen, aber eine Reihe reicher, jüngerer Politiker hatte die Schönheit der heruntergekommenen Häuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert entdeckt. Nun waren fast alle Schwarzen aus Georgetown in rein schwarze Viertel gezogen, und reiche Weiße hatten die alten Häuser für sich umgebaut. Auch John F. Kennedy und seine Frau Jacqueline hatten eines der restaurierten Gebäude bewohnt, ehe sie ins Weiße Haus wechselten.
Ich wollte einige Straßen von ihrer ehemaligen Adresse entfernt eines der älteren Häuser mieten, erschrak aber, als ich den Vertrag unterschreiben sollte. Darin stieß ich auf eine Klausel, wonach dieses Haus nicht an Schwarze, Juden oder Araber verkauft oder vermietet werden dürfe. Das könne ich nicht unterschreiben, sagte ich, schon gar nicht als Deutscher. Der amerikanische Makler konnte das nur schwer verstehen. Der »title«, das offizielle Besitzdokument, sei nur unter größten Schwierigkeiten abzuändern. Im Übrigen spiele dieser Vorbehalt so gut wie keine Rolle mehr und sei schon seit einiger Zeit nicht mehr gerichtlich durchsetzbar. Ich solle mir also keine Gedanken und ihm keine Umstände machen. Aber darauf wollte ich mich als Deutscher nicht einlassen. Ich fand unter meinen Bekannten einen jüdischen Rechtsanwalt, der mir half und einen Anhang zum Dokument durchsetzte, in dem diese rassistische Klausel für unwirksam erklärt wurde.
Das ARD -Studio lag an einer wenig attraktiven Geschäftsstraße. Im Keller gab es eine kleine private Kopierwerkstatt, wo unsere Filme schnell entwickelt werden konnten, im Erdgeschoss einen Friseurladen und ein Möbellager, und im ersten Stock hatten wir unsere Büros und Schneideräume für rund zehn Mitarbeiter. Nun öffnete just drei Häuser weiter das bald schickste französische Restaurant der Stadt, in das sich die Mitarbeiter von Senatoren und Abgeordneten und auch die Experten aus den Ministerien gerne einladen ließen. Für uns Ausländer war das sehr hilfreich, weil es oft schwierig war, in Amerikas Hauptstadt Gesprächs- und Interviewpartner zu
Weitere Kostenlose Bücher