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Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Titel: Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruge
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finden. Selbst Senatoren, die große und durchdachte Reden zur Außenpolitik hielten, nahmen sich nur ungern die Zeit, Leuten aus Europa Interviews zu geben. »Wer wählt den Senator denn schon in Deutschland?«, fragte mich der Assistent von Senator Fulbright, als ich um ein Interview bat. Was er damit meinte, verstand ich, als ich Fulbright kurz darauf in seinem Wahlkreis in Arkansas beobachtete: Da ging es um Straßenbau, Schulspeisungen oder lokale Steuern. Keiner fragte den weltberühmten Vorsitzenden des Senatsausschusses für Außenpolitik nach etwas anderem als lokalen Angelegenheiten, und er antwortete ausführlich und mit großer Geduld. Dies waren seine Wähler, und sie erwarteten, dass er sich für ihre Belange einsetzte. Außenpolitik, sein Spezialgebiet, interessierte sie nicht.
    In Washington waren wir europäische Korrespondenten Außenseiter. Gerade mal vier oder fünf Senatoren und Abgeordnete ließen sich gelegentlich herab, mit Journalisten von der anderen Seite des Atlantiks zu reden, und dann am ehesten mit Engländern, deren Zeitungen sie lesen konnten. Die Kennedys bildeten eine Ausnahme. Als John F. Präsident wurde, war sein jüngerer Bruder, der frisch gewählte Senator Edward Kennedy, gelegentlich bereit, sich für uns Europäer eine halbe Stunde Zeit zu nehmen. Manchmal kam ich so an weitere Informationen, etwa wenn ich einem deutschen Abgeordneten helfen konnte, sich mit Edward Kennedy zu unterhalten und fotografieren zu lassen. Trotzdem: Die nützlichsten Quellen für uns ausländische Journalisten waren nicht die Politiker oder die Presseabteilungen der Ministerien, sondern jene Experten von renommierten Universitäten, die zu Beratungen in die Hauptstadt gerufen wurden. Sie konnten zwar meist nicht wissen, wie eine Entscheidung am Ende ausfallen würde, aber von ihnen erfuhr man etwas über die jeweiligen Probleme und die Art, wie über sie diskutiert wurde. So erhielt man zumindest eine Vorstellung von den Hintergründen und den möglichen Auswirkungen einzelner Beschlüsse. Dementsprechend bemühten wir uns, diese Experten zu einem Drink oder Abendessen einzuladen, und manche von ihnen kamen sehr gern. Wer wie sie in New York oder Los Angeles wohnte, konnte sich mit den langen Abenden in den Hotels und der provinziellen Langeweile Washingtons nur schwer abfinden.
    Die Empfänge im Weißen Haus, zu denen ich einige Male eingeladen wurde, waren elegant und interessant geworden, seit Jacqueline Kennedy die Rolle der Gastgeberin übernommen hatte. Bei den Eisenhowers war es noch steif und etwas spießig zugegangen, Jackie Kennedy dagegen wollte aus dem Weißen Haus eine Art Präsidentenpalast machen, mit Konzerten und französischer Eleganz. Sie und ihr Mann stammten aus schwerreichen katholischen Familien, und Jacqueline konnte mit dem alten kleinbürgerlichen Repräsentationsstil des amerikanischen Präsidentenamts nichts anfangen. Zusätzlich zu den Gästen aus Politik und Wirtschaft, die offiziell auf der Einladungsliste stehen mussten, lud sie deshalb Schriftsteller und Künstler ein, Schauspieler und Balletttänzerinnen, Unterhaltungskünstler, aber auch jüngere Leute aus den Ministerien und Kanzleien. Stil und Eleganz und die Tatsache, dass sie die Frau des ersten Mannes der USA war, hoben sie aus dem Leben des im Grunde kleinstädtischen Washington heraus. Zugleich galt sie als bescheiden, fast schüchtern, und die Öffentlichkeit sah sie vor allem als eine zurückhaltende junge Ehefrau und Mutter. Sie besaß aber auch eine scharfe Zunge und konnte fluchen wie ein Pferdeknecht, wenn sie mit ihrem Mann oder seinem Bruder Robert alleine war.
    Robert Kennedy brachte eine gewisse Schärfe in alle politischen Auseinandersetzungen. Eine Zeitlang gehörte er dem Stab des fanatischen Kommunistenjägers Joseph McCarthy an, ehe er zum engsten Vertrauten seines Bruders wurde und sich unter hohem persönlichem Einsatz für dessen Anspruch auf die Präsidentschaft starkmachte. Sein besonderer Feind war dabei der starke Mann des amerikanischen Senats, der demokratische Senator Lyndon Johnson, der ebenfalls ins Weiße Haus wollte. So versuchte Robert Kennedy durch allerlei Schachzüge, ihm den Weg zu versperren. Sein Bruder aber war zu der Überzeugung gelangt, dass er den Texaner Lyndon Johnson als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft brauchte, wenn er die Stimmen der südlichen Staaten gewinnen wollte. Dafür nahm er in Kauf, dass Robert mit dem Vizepräsidenten in giftigem Hass

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