Unterwegs
Standardkopfbedeckung für Farmerburschen aus North Dakota ist, und sie waren unterwegs zur Erntearbeit; ihre Väter hatten ihnen freigegeben, damit sie einen Sommer lang trampen konnten. Da waren zwei Stadtjungen aus Columbus, Ohio, Football-Spieler in der Highschool-Mannschaft, die Kaugummi kauten, in die Sonne blinzelten und gegen den Wind sangen und sagten, sie wollten den ganzen Sommer lang per Anhalter durch die Vereinigten Staaten gondeln. «Wir fahren nach Los Angeles!», schrien sie.
«Was wollt ihr da machen?»
«Keine Ahnung, verdammt. Was soll’s?»
Dann war da ein hochgewachsener dünner Bursche, der einen hinterhältigen Blick hatte. «Woher bist du?», fragte ich. Ich lag neben ihm auf der Pritsche; man konnte nicht aufrecht sitzen, ohne runterzufliegen, es gab keine Seitenklappen. Er drehte sich langsam zu mir um, machte den Mund auf und sagte: «Mon-ta-na.»
Schließlich waren da Mississippi Gene und sein Mündel. Mississippi Gene war ein kleiner schwarzhaariger Mann, der auf Güterzügen im Land herumfuhr, ein dreißigjähriger Tramp, der jedoch so jugendlich aussah, dass man sein Alter nie erraten hätte. Und er saß mit gekreuzten Beinen auf den Brettern, schaute über die Felder und sagte Hunderte von Kilometern kein Wort, bis er sich schließlich irgendwann zu mir umdrehte und fragte: «Wohin fährst du ?»
«Denver», sagte ich.
«Ich hab da eine Schwester, hab sie aber seit etlichen Jahren nicht mehr gesehen.» Er sprach melodiös und langsam. Er hatte Geduld. Sein Mündel war ein sechzehnjähriger großer Blonder, auch in Landstreicherlumpen; das heißt, sie trugen alte Klamotten, die vom Ruß der Lokomotiven und vom Schmutz der Güterwagen und vom Schlafen auf der Erde geschwärzt waren. Auch der blonde Junge war still, er schien vor etwas davonzulaufen, vielleicht vor der Polizei, nach der Art, wie er geradeaus vor sich hin schaute und sich besorgt und gedankenversunken die Lippen leckte. Montana Slim sprach die beiden manchmal mit einem hämischen falschen Lächeln an. Sie achteten nicht auf ihn. Slim war überhaupt ein falscher Typ. Ich hatte Angst vor seinem breiten, dämlichen Grinsen, mit dem er einem unverwandt ins Gesicht starrte wie ein halb Irrer.
«Hast du Geld?», fragte er mich.
«Nein, verdammt, vielleicht genug für ’n Pint Whisky, bis ich nach Denver komme. Und du?»
«Ich weiß, wo ich was auftreiben kann.»
«Wo?»
«Überall. Man kann immer irgendwen in ’ner dunklen Gasse ansprechen, was?»
«Sicher, das kann man wohl.»
«Hab ich gar nichts gegen, wenn ich mal wirklich Knete brauch. Jetzt will ich nach Montana, meinen Vater besuchen. Ich muss in Cheyenne aussteigen aus der Kiste und in eine andere Richtung weiterfahren. Die beiden Verrückten da vorn fahren nach Los Angeles.»
«Direkt?»
«Ohne Umsteigen – wenn du nach L. A. willst, sitzt du im richtigen Zug.»
Ich überlegte; die Idee, die ganze Nacht durch Nebraska, Wyoming und morgens durch die Wüste von Utah zu sausen, am Nachmittag wahrscheinlich durch die Wüste von Nevada, und tatsächlich in absehbarer Zeit in Los Angeles zu sein, hätte mich beinahe veranlasst, meine Pläne zu ändern. Aber ich musste nach Denver. Also musste auch ich in Cheyenne aussteigen und all die Kilometer nach Süden bis Denver trampen.
Ich war froh, als die beiden Farmerburschen aus Minnesota, denen der Truck gehörte, in North Platte anzuhalten beschlossen, um etwas zu essen; ich wollte sie mir mal ansehen. Sie kamen aus der Kabine und lächelten uns alle an. «Pinkelpause», sagte der eine. «Essenszeit!», sagte der andere. Aber sie waren die Einzigen in unserm Verein, die Geld genug hatten, um sich etwas zu bestellen. Wir trotteten hinter ihnen her in ein Restaurant, das von ein paar Frauen geführt wurde, und hockten bei Hamburgern und Kaffee, während sie enorme Mahlzeiten wegputzten, als säßen sie zu Hause in Mutters Küche. Sie waren Brüder; sie transportierten landwirtschaftliche Maschinen von Los Angeles nach Minnesota und verdienten gut Geld damit. Und so lasen sie auf ihrer Leerfahrt zur Küste jeden auf, der an der Straße stand. Das hatten sie inzwischen schon fünfmal gemacht, und sie hatten den größten Spaß dabei. Sie fanden alles prima. Sie hörten nie auf zu lächeln. Ich versuchte mit ihnen zu reden – ein blödsinniger Versuch meinerseits, mich mit den Kapitänen unseres Schiffs anzufreunden –, und die einzige Antwort, die ich bekam, war ein doppeltes strahlendes Lächeln mit
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