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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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Louisiana, der Big Slim Hazard hieß, William Holmes Hazard, und Landstreicher aus freien Stücken war. Als kleiner Junge hatte er gesehen, wie ein Landstreicher an die Tür kam und seine Mutter um ein Stück Kuchen bat, und sie hatte es ihm gegeben, und als der Landstreicher auf der Straße davonging, hatte der Kleine gesagt: «Ma, was ist das für ein Mann?» – «Oh, das ist ein Landstreicher.» – «Ma, später möchte ich auch ein Landstreicher werden.» – «Halt den Mund, das ist nichts für uns Hazards.» Aber er hatte den Tag nie vergessen, und als er erwachsen war, wurde er, nach einem Zwischenspiel als Footballer an der Uni von Louisiana, Landstreicher. Viele Nächte haben Big Slim und ich dagesessen und haben Geschichten erzählt und Tabaksaft in den Pappbecher gespuckt. Und jetzt erinnerte etwas in Mississippi Genes Benehmen so eindeutig an Big Slim Hazard, dass ich sagte: «Hast du zufällig mal einen Typ getroffen, der Big Slim Hazard hieß?»
    Und er sagte: «Du meinst den langen Kerl mit der gewaltigen Lache?»
    «Na, das klingt ganz nach ihm. Er war aus Ruston, Louisiana.»
    «Stimmt. Louisiana Slim nennen ihn manche. Ja, Sir, klar habe ich Big Slim getroffen.»
    «Und er hat auf den Ölfeldern im Osten von Texas gearbeitet?»
    «Im Osten von Texas, richtig. Und jetzt ist er Viehtreiber.»
    Auch das stimmte genau; und ich konnte es immer noch nicht fassen, dass Gene tatsächlich Slim kennen sollte, nach dem ich seit Jahren mehr oder minder Ausschau gehalten hatte. «Und hat er mal auf Hafenschleppern in New York gearbeitet?»
    «Also, davon weiß ich nichts.»
    «Ich nehme an, du kanntest ihn nur im Westen.»
    «Das nehm ich auch an. In New York bin ich nie gewesen.»
    «Also, verdammt, ich fasse es nicht, dass du ihn kennst. Dies ist ein großes Land. Aber ich wusste, du musst ihn gekannt haben.»
    «Ja, Sir. Big Slim kenne ich ziemlich gut. Immer großzügig mit seinem Geld, wenn er welches hat. Auch ein gemeiner, harter Bursche; in Cheyenne auf dem Güterbahnhof hab ich mal gesehen, wie er mit einem einzigen Schlag einen Polizisten flachlegte.» Das sah Big Slim ähnlich; diesen einen Boxhieb übte er immer in der Luft; er sah aus wie Jack Dempsey, aber ein junger Jack Dempsey, der trank.
    «Verdammt!», brüllte ich gegen den Wind und hob noch einmal die Flasche, und so langsam ging es mir richtig gut. Jeder Schluck wurde sofort vom Fahrtwind auf dem offenen Lastwagen fortgewischt – ich meine, die bösen Nachwirkungen wurden weggewischt und die gute Wirkung verbreitete sich im Magen. «Cheyenne, ich komme!», sang ich. «Denver, dein Typ ist unterwegs.»
    Montana Slim wandte sich mir zu, deutete auf meine Schuhe und meinte: «Glaubst du, die kannst du irgendwo einpflanzen, und dann wächst was draus?» – und dies mit todernstem Gesicht, natürlich, und die anderen Jungs hörten es und lachten. Es waren tatsächlich die albernsten Schuhe von ganz Amerika; ich hatte sie extra gekauft, weil ich auf der heißen Landstraße keine Schweißfüße kriegen wollte, und bis auf den Regen am Bear Mountain erwiesen sie sich als die bestmöglichen Schuhe für meine Fahrt. Also lachte ich mit den anderen. Tatsächlich waren die Schuhe jetzt ziemlich in Fetzen, die bunten Lederstreifen standen hoch wie die Schale einer frischen Ananas, und meine Zehen spitzten hervor. Na, wir tranken noch einen Schluck und lachten. Wie im Traum sausten wir durch die kleinen Städte an den Straßenkreuzungen, die aus der Dunkelheit aufsprangen, und fuhren in der Nacht an langen Reihen von lungernden Erntearbeitern und Cowboys entlang. Sie hoben den Kopf und schauten uns nach, und noch draußen im Dunkel am anderen Ende der Stadt konnten wir sehen, wie sie sich auf die Schenkel klatschten – wir waren schon eine komische Crew.
    Um diese Jahreszeit waren viele Männer hier in der Gegend; es war Erntezeit. Die Jungs aus Dakota wurden nervös. «Bei der nächsten Pinkelpause steigen wir, glaube ich, aus; scheint viel Arbeit zu geben hier in der Gegend.»
    «Ihr braucht nur weiter nach Norden zu gehen, wenn’s hier vorbei ist», riet Montana Slim, «und müsst einfach der Ernte folgen, bis ihr in Kanada seid.» Die Jungs nickten zerstreut; sie gaben nicht viel auf seinen Rat.
    Der kleine blonde Ausreißer saß noch genauso da wie zuvor; dann und wann richtete sich Gene aus seiner buddhistischen Trance auf, blickte auf die vorbeirauschende dunkle Prärie und sagte dem Jungen freundlich etwas ins Ohr. Der Junge nickte. Gene

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