Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
Vom Netzwerk:
Klebeband zusammengeflickten Altsax spielte und an jedem Regentag übte und nur herauskam, um sich die swingende Band von Count Basie und die von Benny Moten anzuhören, bei der Hot Lips Page und all die anderen mitmachten – Charlie Parker, der von zu Hause fortging und nach Harlem kam, wo er dem verrückten Thelonius Monk begegnete, und dem noch verrückteren Gillespie – Charlie Parker in seiner frühen Zeit, als er beim Spielen abhob und auf dem Podium im Kreis herumlief. Etwas jünger als Lester Young, ebenfalls aus Kansas City, dieser düstere heilige Narr, der die Geschichte des Jazz in sich verkörperte; denn wenn er sein Saxophon hoch in die Luft hielt, beinahe waagerecht vor den Lippen, war er der Größte; und als sein Haar länger und er selber träge und müde wurde, sank sein Horn auf halbe Höhe herunter, bis es schließlich ganz herabhing, und heute, wo der Mann auf dicken Kreppsohlen herumläuft, damit er den Asphalt des Lebens nicht spürt, hält er sein Saxophon schlaff vor der Brust und bläst coole, leicht eingängige Phrasen. Dies hier waren die Kinder der amerikanischen Bebop-Nacht.
    Und noch seltsamere Blumen der Nacht – denn während der schwarze Altist voll Würde über die Köpfe der Menge blickte, leckte der junge, hochgewachsene, schlanke blonde Typ von der Curtis Street in Denver, in Jeans und mit nietenbeschlagenem Gürtel, ungeduldig sein Mundstück und wartete, dass die anderen zum Ende kamen, und als es so weit war, legte er los, und man musste sich umschauen, um zu sehen, woher dieses Solo kam, denn es kam von den engelhaften lächelnden Lippen an diesem Mundstück, ein sanftes, liebliches, märchenhaftes Solo auf einem Altsaxophon. Einsam wie Amerika, ein Klang wie aus durchbohrter Kehle in dunkler Nacht.
    Und die anderen und all ihre Musik? Da war der Bassist, ein drahtiger Rothaariger mit wilden Augen, der jedes Mal, wenn er die Finger voll Drive in die Saiten hackte, mit schwingender Hüfte gegen die Bassgeige stieß, an heißen Stellen mit offenem Mund, wie in Trance. «Sieh mal, Mann, wie der Typ sich sein Mädchen zurechtlegt!» Der melancholische Drummer, ein Typ wie unser weißer Hipster in der Folsom Street in Frisco, war völlig weggetreten, er starrte ins Leere, kaute Kaugummi, die Augen weit aufgerissen, und ließ den Kopf kreisen – der Taumel und die selbstzufriedene Ekstase, wie Wilhelm Reich sie beschreibt. Am Klavier – ein mächtiger, kräftiger italienischer Truckdriver-Typ mit breiten Pranken, ein robuster und nachdenklicher Spaßvogel. Sie spielten eine Stunde lang. Niemand hörte hin. Penner von der North Clark Street hingen an der Bar, Huren kreischten vor Wut. Geheimnisvolle Chinesen huschten vorbei. Der Lärm von twistenden Tänzern störte. Die Musiker ließen sich nicht stören. Draußen auf dem Gehsteig schwebte eine Erscheinung heran – ein sechzehnjähriger Junge mit Ziegenbärtchen und einem Posaunenkoffer. Dünn, als hätte er die Schwindsucht, mit irrem Blick, wollte er sich der Gruppe anschließen und mitspielen. Sie kannten ihn und wollten nichts mit ihm zu schaffen haben. Er kam in die Bar geschlichen, holte verstohlen sein Blech aus dem Futteral und setzte es an die Lippen. Kein Einsatz für ihn. Keiner gab ihm ein Zeichen. Dann machten sie Schluss, packten zusammen und zogen in eine andere Bar. Er platzte vor Wut, der spindeldürre Chicago-Typ. Er klatschte sich die Sonnenbrille vor die Augen, hob die Posaune an die Lippen und machte «Boooh!» Dann lief er den anderen nach. Sie wollten ihn nicht mitspielen lassen, genau wie die Football-Mannschaft auf dem Sandplatz hinter dem Gaswerk. «Diese Typen wohnen alle bei ihren Großmüttern, genau wie Tom Snark und unser Carlo-Marx-Altist», sagte Dean. Wir sprangen auf und liefen hinter den Musikern her. Sie gingen in Anita O’Day’s Club, und dort packten sie aus und spielten bis neun Uhr morgens. Dean und ich waren da und tranken Bier.
    In den Pausen liefen wir hinaus, sprangen in unseren Cadillac und versuchten überall in Chicago die Mädchen anzumachen. Sie hatten Angst vor unserer langen, von Narben entstellten Propheten-Kutsche. In seinem Wahnsinn krachte Dean rückwärts gegen einen Hydranten und kicherte manisch. Bis neun Uhr früh war der Wagen nur noch ein Wrack; die Bremsen funktionierten nicht mehr, die Kotflügel waren eingedrückt, die Ventile klapperten. An den Ampeln konnte Dean nicht mehr bremsen, ruckend und bockend kroch das Auto über die Straßen. Es hatte den Preis

Weitere Kostenlose Bücher