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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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sagen: ‹Mach mir keine Andeutungen!› Böse Sache das, solche Andeutungen – haben Sie gehört?»
    «Ich mache bestimmt keine Andeutungen, Henry.»
    «Wenn einer mir Andeutungen macht, brennt bei mir die Sicherung durch, und ich werde so wütend, dass ich morden könnte. Und wissen Sie, warum ich mein Leben lang im Knast gesessen habe? Weil ich die Nerven verlor, als ich dreizehn war. Ich war mit einem anderen Jungen im Kino, und er riss einen Witz über meine Mutter – Sie kennen bestimmt das dreckige Wort –, und ich zog mein Klappmesser raus und stieß es ihm in den Hals, und ich hätte ihn umgebracht, hätten die anderen mich nicht weggerissen. Der Richter fragte: ‹Hast du gewusst, was du tust, als du deinen Freund angegriffen hast?› – ‹Jawohl, Euer Ehren, Sir, habe ich, ich wollte den Dreckskerl umbringen und würde es immer noch tun!› Also kriegte ich keine Bewährung und kam direkt in die Besserungsanstalt. Ich habe Hämorrhoiden gekriegt vom Sitzen in Einzelhaft. Passen Sie auf, dass Sie nie in ein Bundesgefängnis kommen, das sind die schlimmsten. Scheiße, ich könnte die ganze Nacht reden, so lange ist’s her, dass ich mit jemand geredet habe. Sie können sich nicht vorstellen, wie gut es mir geht, seit ich draußen bin. Sie haben schon im Bus gesessen, als ich einstieg in Terre Haute – was haben Sie so gedacht?»
    «Nichts, ich habe nur dagesessen und mich schaukeln lassen.»
    «Aber ich – ich habe gesungen vor Freude. Ich hab mich zu Ihnen gesetzt, weil ich nicht wagte, mich neben ein Mädchen zu setzen, aus Angst, ich könnte durchdrehen und ihr unter den Rock greifen. Muss noch ein Weilchen warten damit.»
    «Noch eine Gefängnisstrafe, und man wird Sie lebenslänglich verknacken. Passen Sie lieber auf, von jetzt an.»
    «Das hab ich ja vor, das Blöde ist nur, dass mir manchmal die Sicherung durchbrennt, und dann weiß ich nicht mehr, was ich tu.»
    Er war unterwegs zu seinem Bruder und seiner Schwägerin, bei denen er unterkommen sollte; sie hatten auch Arbeit für ihn in Colorado. Die Fahrkarte hatte ihm die Regierung bezahlt, sein Reiseziel hieß Bewährung. Das war ein Junge, wie Dean einer gewesen war, zu heißblütig, als dass er es ertragen konnte; die Sicherung brannte ihm durch, aber er besaß nicht die natürliche, komische Heiligmäßigkeit, die ihn vor dem eisernen Schicksal hätte bewahren können.
    «Seien Sie mir ein Kumpel und passen Sie auf mich auf, dass mir in Denver nicht die Sicherung durchbrennt. Versprechen Sie mir das, Sal? Vielleicht schaffe ich’s, heil zu meinem Bruder zu kommen.»
    Als wir in Denver ankamen, nahm ich ihn beim Arm und führte ihn in die Larimer Street, damit er den Knastanzug versetzen konnte. Der alte Jude witterte sofort, was es war, noch ehe der Anzug halb ausgepackt war. «Verdammt, ich will das Ding nicht haben. Ich kriege so etwas jeden Tag von den Jungs aus Canyon City.»
    Die Larimer Street war überlaufen von entlassenen Strafgefangenen, die versuchten, die ihnen im Gefängnis übergebenen Anzüge zu verhökern. Henry klemmte sich das Ding in einer braunen Tüte unter den Arm und spazierte in nagelneuen Jeans und einem Sporthemd herum. Wir gingen in Deans alte Kneipe, die Glenarm Bar – unterwegs warf Henry den Anzug in eine Mülltonne –, und riefen Tim Gray an. Es war inzwischen Abend geworden.
    «Du?», kicherte Tim Gray. «Bin gleich da.»
    Binnen zehn Minuten kam er mit Stan Shephard in die Bar gestürmt. Die beiden hatten gerade eine Frankreichreise hinter sich und waren furchtbar enttäuscht von ihrem Alltag in Denver. Sie waren begeistert von Henry und spendierten ihm Bier. Irgendwann fing er an, sein ganzes Knastgeld auf den Kopf zu hauen. Ich atmete wieder einmal die milde dunkle Nacht von Denver mit seinen heiligen Gassen und verrückten Häusern ein. Wir zogen durch die Kneipen der Stadt, durch die Bars an der West Colfax Avenue, die Pinten der Schwarzen in Five Points, die Hurenhäuser.
    Stan Shephard hatte seit Jahren darauf gewartet, dass er mich kennenlernte, und jetzt standen wir zum ersten Mal vor einem gemeinsamen Abenteuer. «Sal, seit ich aus Frankreich zurück bin, weiß ich mit mir nichts mehr anzufangen. Ist es wahr, dass du nach Mexiko fährst? Verdammt nochmal, kann ich nicht mitfahren? Ich kann mir hundert Bucks besorgen, und wenn wir dort sind, kann ich mich als Kriegsteilnehmer mit einem Stipendium am College in Mexico City einschreiben.»
    Okay, es war abgemacht, Stan würde also mitfahren. Er

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