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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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standen die Leute auf und machten Frühstück und hörten seltsame unterirdische Stimmen «Ja! Ja!» rufen. Babe stellte ein gewaltiges Frühstück auf den Tisch. Es wurde langsam Zeit, nach Mexiko abzuhauen.
    Dean brachte den Wagen zur nächsten Garage und ließ alles in Ordnung bringen. Es war ein 37er Ford – die rechte Tür war aus den Angeln und mit Draht am Rahmen befestigt. Auch der rechte Vordersitz war kaputt, man saß dort so weit zurückgelehnt, dass man auf das verbeulte Dach starrte. «Genau wie bei Min und Bill», sagte Dean. «Wir werden keuchend und ächzend in Mexiko ankommen; wir werden Tage und noch mehr Tage brauchen.» Ich warf einen Blick auf die Karte: Im Ganzen waren es über tausensechshundert Kilometer, hauptsächlich durch Texas, bis zur Grenze bei Laredo, und dann noch einmal gut zwölfhundert durch ganz Mexiko bis zu der großen Stadt nahe dem geborstenen Isthmus und den Höhen von Oaxaca. Nicht im Traum konnte ich mir diese Reise vorstellen. Es war die sagenhafteste von allen. Es ging nicht mehr von Osten nach Westen, sondern in den magischen Süden . In einer Vision sahen wir die ganze westliche Hemisphäre mit ihren Felsenrippen bis hinunter nach Feuerland, und wir schwebten über die Krümmung des Erdballs hinab in andere Klimazonen und andere Welten. «Mann, diesmal werden wir ES erreichen!», sagte Dean mit entschiedener Zuversicht. Er klopfte mir auf den Arm. «Warte nur, du wirst schon sehen. Ho! Uuuh!»
    Ich ging mit Shephard, um ihm bei seiner letzten Aufgabe in Denver zu helfen, und lernte seinen armen Großvater kennen, der in der Haustür stand und sagte: «Stan – Stan – Stan.»
    «Was ist, Großpapa?»
    «Geh nicht weg.»
    «Oh, es ist abgemacht. Ich muss jetzt fort. Warum machst du so ein Getue?» Der Alte hatte graues Haar und große mandelförmige Augen und einen wütend verspannten Hals.
    «Stan», sagte er leise, «geh nicht weg. Bring deinen alten Großvater nicht zum Weinen. Lass mich nicht wieder allein.» Es brach mir das Herz, dies mit anzusehen.
    «Dean», sagte der Alte, an mich gewandt, «nehmen Sie mir meinen Stan nicht weg. Ich habe ihn in den Park geführt, als er klein war, und ihm die Schwäne gezeigt. Dann ist seine kleine Schwester in dem Schwanenteich ertrunken. Sie dürfen mir nicht meinen Jungen wegnehmen.»
    «Lass», sagte Stan. «Wir fahren jetzt. Leb wohl.» Er rang um seine Fassung.
    Der Großvater packte ihn am Arm. «Stan, Stan, Stan, geh nicht weg, geh nicht weg, geh nicht weg.»
    Wir flüchteten mit gesenktem Kopf, und der Alte stand immer noch vor seinem Häuschen in einer Nebenstraße von Denver, wo Perlenschnüre in den Türen hängen und pralle Polstergarnituren im Wohnzimmer stehen. Er war weiß wie die Wand. Noch immer rief er nach Stan. Seine Bewegungen waren wie die eines Gelähmten, und er tat nichts, um seinen Platz an der Tür zu verlassen, sondern blieb einfach nur stehen und murmelte «Stan» und «Geh nicht weg» und sah uns angstvoll nach, als wir um die Ecke bogen.
    «O Gott, Shep, ich weiß nicht, was ich sagen soll.»
    «Mach dir nichts draus», stöhnte Stan. «So ist er immer schon gewesen.»
    Wir trafen Stans Mutter in der Bank, wo sie Geld für ihn abhob. Sie war eine liebe weißhaarige Frau und sah trotzdem immer noch sehr jung aus. Sie und ihr Sohn standen auf den Marmorfliesen der Bank und flüsterten. Stan trug einen Jeansanzug, mit Jacke und allem, und wirkte wie ein Mann, der mit Sicherheit nach Mexiko fahren wird. Dies hier war sein Nesthockerleben in Denver, und jetzt ging er weg, mit Dean, dem flammenden Kometen. Und da kam Dean auch schon um die Ecke geschossen, gerade im rechten Augenblick, und schloss sich uns an. Mrs.   Shephard bestand darauf, uns allen einen Kaffee zu spendieren.
    «Passt mir auf meinen Stan auf», sagte sie. «Nicht auszudenken, was in dem Land dort alles passieren kann.»
    «Wir werden alle aufeinander aufpassen», sagte ich. Stan und seine Mutter schlenderten voraus, und ich ging mit dem verrückten Dean hinterher; er erzählte mir von den eingeritzten Schreibereien an Toilettenwänden im Osten und im Westen.
    «Da gibt es große Unterschiede. Im Osten kritzeln sie Witze und abgedroschene Sprüche und eindeutige Anspielungen, fäkalische Schweinereien und Zeichnungen; im Westen schreiben sie nur ihren Namen hin: Red O’Hara aus Blufftown, Montana, war hier, mit Datum, alles ernst und feierlich, wie zum Beispiel Ed Dunkel, und der Grund dafür ist die ungeheure Einsamkeit, die

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