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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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jeder Engel hatte er noch immer Anwandlungen von Tollheit und Raserei, und in dieser Nacht, als wir alle aufbrachen und uns, eine riesige lärmende Horde, in die Bar des Windsor Hotels verzogen, hat Dean sich wahnsinnig und dämonisch und seraphisch besoffen.
    Man erinnere sich, das Windsor, einst, zu Zeiten des Goldrausches, Denvers erstes Hotel und in mancher Hinsicht eine Sehenswürdigkeit – im großen Saloon unten sind noch alte Schusslöcher in den Wänden –, war einmal Deans Zuhause gewesen. Hier lebte er mit seinem Vater in einem der Zimmer unter dem Dach. Er war kein Tourist. Er trank in diesem Saloon wie der Geist seines Vaters; er kippte Wein, Bier und Whisky wie Wasser. Er wurde rot im Gesicht und schwitzte und brüllte und polterte an der Bar und taumelte quer über die Tanzfläche, wo die halbseidenen Typen des Westens mit ihren Mädchen tanzten und Klavier zu spielen versuchten, er warf die Arme um entlassene Knastbrüder und brüllte mit ihnen im allgemeinen Tumult. Inzwischen saß unsere ganze Gesellschaft an zwei großen, zusammengeschobenen Tischen. Da waren Denver D. Doll, Dorothy und Roy Johnson, ein Mädchen aus Buffalo, Wyoming, die mit Dorothy befreundet war, Stan, Tim Gray, Babe, ich, Ed Dunkel, Tom Snark und noch ein paar andere, dreizehn im Ganzen. Doll amüsierte sich bestens: Er holte einen Peanut-Automaten und stellte ihn vor sich auf den Tisch und stopfte Pennys hinein und futterte Peanuts. Er schlug vor, dass wir alle etwas auf eine billige Postkarte an Carlo Marx in New York schreiben sollten. Wir kritzelten die verrücktesten Dinge. Draußen wimmerte Geigenmusik durch die Nacht der Larimer Street. «Ein irrer Spaß!», brüllte Doll. In der Männertoilette versuchten Dean und ich mit der Faust ein Loch in die Tür zu schlagen, aber sie war gut drei Zentimeter stark. Ich brach mir einen Knöchel im Mittelfinger und merkte es erst am nächsten Tag. Wir waren sturzbetrunken. Einmal standen fünfzig Glas Bier gleichzeitig auf unseren Tischen. Man konnte im Kreis herumlaufen und aus jedem schlürfen. Entlassene Häftlinge aus Canyon City schwankten und schwadronierten zwischen uns herum. Draußen im Foyer saßen alte Männer, ehemalige Goldschürfer, träumend auf ihre Spazierstöcke gestützt, unter der tickenden alten Uhr. Solchen Furor kannten sie aus ihren großen Zeiten. Alles wirbelte durcheinander. Überall fanden Partys statt. Es gab sogar eine Party in einem Schloss, zu der wir alle fuhren – außer Dean, der irgendwo anders hinrannte – und in diesem Schloss saßen wir um einen großen Tisch in der Halle und lärmten. Draußen gab es einen Swimmingpool und Grotten. Endlich hatte ich das Schloss gefunden, aus dem die große Weltenschlange sich erheben würde.
    Später in der Nacht saßen dann nur noch Dean und ich und Stan Shephard und Tim Gray und Ed Dunkel und Tommy Snark in einem Auto, und alles lag vor uns. Wir fuhren ins Mexikanerviertel, wir fuhren nach Five Points, wir karriolten herum. Stan Shephard war außer sich vor Begeisterung. «Verflucht nochmal! Scheiße, verdammte!», brüllte er dauernd mit hoher, schriller Stimme und schlug sich auf die Knie. Dean war wild begeistert von ihm. Er wiederholte alles, was Stan sagte, und wischte sich keuchend den Schweiß von der Stirn. «Das wird ein Spaß, Sal, wenn wir mit Stan, diesem irren Typ, nach Mexiko fahren!» Es war unsere letzte Nacht im heiligen Denver, und wir machten eine große und wilde Nacht daraus. Sie endete schließlich mit Rotwein im Keller bei Kerzenlicht, und Charity tappte oben im Nachthemd und mit einer Taschenlampe herum. Wir hatten inzwischen einen farbigen Typ unter uns, der sich Gomez nannte. Er hatte sich in Five Points herumgetrieben, einer, dem alles schnuppe war. Als wir ihn sahen, rief Tommy Snark: «He, heißt du nicht Johnny?»
    Gomez lief ein paar Schritte zurück, ging noch einmal an uns vorbei und sagte: «Sag das noch einmal – was hast du gesagt?»
    «Ich sagte: Bist du nicht der Typ, den sie Johnny nennen?»
    Gomez wankte zurück und versuchte es noch einmal. «Seh ich ihm jetzt vielleicht etwas ähnlicher? Ich tu mein Bestes, um Johnny zu sein, aber ich krieg’s nicht hin.»
    «Oh, Mann, komm mit, steig ein», schrie Dean. Gomez sprang in den Wagen, und wir sausten los. Im Keller begann ein irres Geflüster, weil wir die Nachbarn nicht aufstören wollten. Um neun Uhr morgens waren alle fort, bis auf Dean und Shephard, die immer noch wie die Verrückten quasselten. Oben im Haus

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