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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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Auf und ab tanzten wir, und sogar Victor begriff und lachte. Dann deutete er nach links, um uns den Weg zu den Mädchen zu zeigen, und Dean, der mit unbeschreiblichem Entzücken nach links schaute und sich in diese Richtung beugte, zog das Lenkrad herum und brachte uns glatt und sicher ans Ziel, während er Victors sprachlichen Bemühungen lauschte und bombastische Sprüche klopfte: «Ja, gewiss doch! Da habe ich nicht den geringsten Zweifel! Aber ganz entschieden, Mann! Oh, in der Tat. Ach, Quatsch, du hast mir sehr liebe Dinge gesagt! Ehrlich! Ja! Sprich nur weiter!» Victor reagierte ernst darauf und mit bezaubernder spanischer Eloquenz. Einen verrückten Augenblick lang dachte ich schon, Dean verstünde alles, kraft schierer wahnwitziger Einsicht und genialer Erleuchtung, unbegreiflich ausgelöst durch sein glühendes Glück. In diesem Augenblick hatte er außerdem eine solche Ähnlichkeit mit Franklin Delano Roosevelt – eine Täuschung meiner brennenden Augen und meines schwebenden Gehirns –, dass ich vom Sitz hochfuhr und nur noch mit offenem Mund staunte. In einem tausendfachen Geflimmer himmlischer Strahlen konnte ich mit Mühe und Not Deans Gestalt erkennen, und er sah aus wie Gott. Ich war so high, dass ich den Kopf auf die Rücklehne betten musste; das Schlingern des Wagens jagte ekstatische Schauer durch meinen Körper. Allein schon der Gedanke, durchs Wagenfenster auf Mexiko zu blicken – das sich in meiner Seele inzwischen in etwas anderes verwandelt hatte –, war wie ein Zurückschrecken vor einer machtvoll glitzernden, geheimnisvollen Schatztruhe, die du nicht anzusehen wagst, weil deine Augen sich nach innen richten, denn die Reichtümer und Schätze sind zu gewaltig, als dass du alles auf einmal fassen könntest. Ich schluckte. Ich sah Ströme von Gold durch den Himmel fließen, durch das zerbeulte Dach unserer armen alten Karre, durch meine Augäpfel und mitten in mich hinein; es war überall. Ich blickte hinaus auf die heißen, sonnigen Straßen und sah eine Frau in einer Haustür stehen und dachte, sie hört ja jedes Wort, das wir sagen, und nickt vor sich hin – Visionen der Paranoia, wie Marihuana sie verursachen kann. Doch der Strom des Goldes hörte nicht auf. Lange war mein Bewusstsein verloren, mein alltägliches Verständnis der Dinge, die wir taten, und ich fand es erst später wieder, als ich aus Feuer und Schweigen aufblickte wie beim Erwachen aus tiefem Schlaf zur Welt, oder beim Erwachen aus Leere zu einem Traum, und die anderen mir sagten, dass wir vor Victors Haus standen, und er mit seinem Sohn auf den Armen schon an die Wagentür gekommen war, um ihn uns zu zeigen.
    «Seht ihr, mein Baby. Sein Name Pérez. Er sechs Monate.»
    «Oh», sagte Dean, dessen Gesicht noch immer verklärt war in einem Schauer höchster Freude, ja Seligkeit. «Es ist das allerschönste Kind, das ich je gesehen habe. Seht nur, die Augen. Seht, Sal und Stan», sagte er und schaute uns an, mit einem ernsten und zugleich zarten Gesichtsausdruck, «seht euch vor allem anderen die Augen dieses kleinen Mexikanerjungen an, der der Sohn unseres wunderbaren Freundes Victor ist, und stellt euch vor, wie er später, als Mann, mit seiner einzigartigen Seele durch die Fenster sprechen wird, die seine Augen sind, die Fenster seiner Seele, und solche lieblichen Augen künden und verraten, so viel ist sicher, die lieblichste aller Seelen.» Es war eine wunderschöne Ansprache. Und es war ein wunderschönes Baby. Victor sah traurig auf seinen kleinen Engel nieder. Wir alle wünschten, wir hätten solch einen kleinen Sohn. So groß war unsere Begeisterung für die Seele des Kindes, dass es etwas spürte und sein Gesicht verzog, was zu bitteren Tränen führte und zu ungekanntem Schmerz, den wir nicht lindern konnten, weil er zu weit zurückreichte in unergründliche Geheimnisse und Zeiten. Wir probierten alles; Victor hielt ihm das Köpfchen und wiegte ihn, Dean gurrte und gluckste, ich streckte die Hand aus und streichelte seine Ärmchen. «Oh», sagte Dean, «tut mir furchtbar leid, Victor, dass wir ihn traurig gemacht haben.»
    «Er ist nicht traurig, Baby schreit.» In der Tür hinter Victor stand barfuß seine kleine Frau, zu schüchtern, um herauszukommen, und wartete in banger Zärtlichkeit, dass man ihr das Kind wieder in ihre so braunen und so weichen Arme legte. Nachdem Victor uns sein Kind gezeigt hatte, stieg er wieder zu uns ins Auto und deutete stolz nach rechts.
    «Ja», sagte Dean und wendete den

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