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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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glaubte, Freunde von mir eine Party hatten. Aber ein hübsches Mädchen steckte den Kopf zum Fenster heraus und fragte: «Ja? Wer ist da?»
    «Sal Paradise», sagte ich und hörte meinen Namen durch die trostlose leere Straße hallen.
    «Komm rauf», rief sie. «Ich mache gerade heiße Schokolade.» Also ging ich hinauf, und da war sie, die Frau mit den reinen und unschuldigen lieben Augen, nach der ich immer und so lange schon gesucht hatte. Wir waren uns einig und hatten einander wahnsinnig lieb. Im Winter, so nahmen wir uns vor, wollten wir nach San Francisco ziehen und all unsere angeschlagenen Möbel und armseligen Habseligkeiten auf einem alten Lastwagen mit uns nehmen. Ich schrieb an Dean und berichtete ihm. Er schrieb einen endlosen Brief zurück, tausendachthundert Wörter lang, alles über seine jungen Jahre in Denver, und sagte, er werde kommen und mich abholen und sich selber um einen alten Lastwagen kümmern und uns nach Hause fahren. Uns blieben sechs Wochen, um das Geld für den Laster zusammenzubringen, wir arbeiteten und sparten jeden Cent. Und plötzlich kam Dean doch schon an, fünfeinhalb Wochen zu früh, und niemand hatte das Geld, um den Plan zu verwirklichen.
    Ich hatte einen Spaziergang durch die Nacht gemacht und kam nach Hause zu meinem Mädchen und wollte ihr erzählen, was mir unterwegs durch den Kopf gegangen war. Sie stand in unserem dunklen kleinen Zimmer und lächelte sonderbar. Ich fing an, ihr zu erzählen, und plötzlich fiel mir die Stille in dem Raum auf, und ich schaute mich um und sah ein zerlesenes Buch auf dem Radio liegen. Es war, ich wusste es, Deans über alle Ewigkeit hinaus geliebter Marcel Proust. Und wie im Traum sah ich ihn in Socken und auf Zehenspitzen aus dem dunklen Flur hereinkommen. Er konnte nicht mehr sprechen. Er hopste herum und lachte, er stotterte und fuchtelte mit den Händen und sagte: «Ah – ah – hört zu und passt auf.» Wir hörten, wir waren ganz Ohr. Aber er hatte vergessen, was er sagen wollte. «Also wirklich, hört doch mal – ähem. Seht mal, lieber Sal, süße Laura – ich bin gekommen – ich bin gegangen – doch wartet – ah, ja.» Und er starrte mit steinernem Kummer auf seine offenen Hände. «Kann nicht mehr sprechen – versteht ihr, das ist’s – oder könnte es sein – Aber hört zu!» Wir horchten. Er lauschte den Geräuschen der Nacht. «Ja!», flüsterte er voll Staunen. «Aber seht ihr – nicht nötig, mehr zu sagen – weiterzusprechen.»
    «Aber, Dean, warum bist du so früh gekommen?»
    «Ah», sagte er und schaute mich an, als sähe er mich zum ersten Mal, «so früh, ja. Wir – wir wissen – das heißt, ich weiß nicht. Ich bin mit Eisenbahnerausweis gefahren – Bremserhäuschen, alte Waggons mit Holzbänken – Texas – Flöte gespielt, den ganzen Weg, und Okarina.» Er holte seine neue Blockflöte hervor. Er spielte darauf ein paar quietschende Töne und hüpfte dazu auf seinen Socken herum. «Seht ihr?», sagte er. «Aber klar, Sal, ich kann so gut sprechen wie eh und je und habe dir viele Dinge zu sagen, tatsächlich habe ich mit meinem kleinen Spatzenhirn auf dem Weg quer durchs Land sogar diesen verrückten Proust gelesen und wieder gelesen und eine Menge Sachen kapiert und nie werde ich ZEIT genug haben, um dir davon zu erzählen, und NOCH IMMER haben wir nicht über Mexiko gesprochen und unseren Abschied dort im Fieber – aber es ist nicht nötig, zu sprechen. Absolut nicht, also, ja?»
    «Na gut, dann sprechen wir nicht.» Und er fing an, in aller Ausführlichkeit zu erzählen, wie er auf dem Weg hierher in L. A. eine Familie besucht hatte, mit den Leuten zu Abend gegessen hatte, sich mit dem Vater unterhalten hatte, mit den Söhnen, den Schwestern – wie sie aussahen, was sie aßen, wie die Möbel in der Wohnung waren, was die Leute so dachten, wofür sie sich interessierten, ja sogar über ihre Seelen sprach er. Drei volle Stunden lang gab er uns detaillierteste Beschreibungen, und als er fertig war, sagte er: «Ah, aber seht ihr, was ich euch WIRKLICH erzählen wollte – viel später – Arkansas, die Fahrt durch Arkansas im Zug – das Flötespielen – mit den Jungs Karten gespielt, mit meinen obszönen Karten – Geld gewonnen, Solo auf der Okarina gespielt – für die Matrosen. Lange, lange, furchtbare Reise, fünf Tage und fünf Nächte lang, nur um dich zu SEHEN, Sal.»
    «Und was ist mit Camille?»
    «Sie war natürlich einverstanden – wartet auf mich. Camille und ich, das ist ganz

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