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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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Highway. Das Wild-West-Festival war noch im Gange. Es gab ein Rodeo, und das Gejohle und Gedränge der Menge ging auch schon wieder los. Das alles ließ ich hinter mir. Ich wollte meine Clique in Denver sehen. Ich kreuzte eine Eisenbahnüberführung und kam zu einer Ansammlung von Baracken, wo sich der Highway gabelte, zwei Straßen, die beide nach Denver führten. Ich wählte die eine, die näher an den Bergen entlangführte, damit ich sie unterwegs sehen konnte, und stellte mich an den Straßenrand. Gleich nahm mich auch jemand mit, ein junger Mann aus Connecticut, der in seiner alten Kiste durchs Land gondelte und malte; er war der Sohn eines Redakteurs an der Ostküste. Er redete und redete; mir war schlecht von der Trinkerei und von der Höhenluft. Irgendwann musste ich beinahe den Kopf aus dem Fenster stecken. Aber als er mich absetzte, in Longmont, Colorado, ging es mir wieder gut, und ich hatte sogar angefangen, ihm von meinen eigenen Fahrten zu erzählen. Er wünschte mir Glück.
    Es war hübsch in Longmont. Unter einem riesigen alten Baum gab es ein großes grünes Rasenstück, das zu einer Tankstelle gehörte. Ich fragte den Tankwart, ob ich dort pennen dürfe, und er sagte, klar; also breitete ich ein Wollhemd aus, legte mein Gesicht flach darauf, winkelte den einen Ellbogen ab und schielte mit einem Auge nach den Schneegipfeln unter der heißen Sonne – aber nur einen Moment lang. Zwei wunderbare Stunden schlief ich, und das einzige Unangenehme war eine mich gelegentlich piesackende Colorado-Ameise. Jetzt bin ich endlich in Colorado! dachte ich voller Freude. Verdammt, verdammt, verdammt nochmal! Hab ich’s doch geschafft! Und nach einem erquickenden Schlaf voll verworrener Träume von meinem Leben an der Ostküste, das nun hinter mir lag, sprang ich auf, wusch mich in der Toilette der Tankstelle und schritt frisch und munter los und holte mir im Rasthaus an der Straße einen satten fetten Milch-Shake, um etwas Kaltes in meinen brennenden, aufgewühlten Magen zu bekommen.
    Übrigens war es ein sehr schönes Colorado-Girl, das mir die Sahne schäumte. Und wie sie lächelte! Ich war dankbar, es entschädigte mich für die letzte Nacht. Wow! sagte ich mir, wie wird’s erst in Denver sein! Ich stellte mich wieder an die heiße Landstraße, und schon ging’s los in einem brandneuen Wagen, in dem ein Geschäftsmann aus Denver saß, vielleicht fünfunddreißig Jahre. Er fuhr hundertzehn. Ich zappelte am ganzen Leib; ich zählte jede Minute und subtrahierte die Meilen. Da vorn, hinter den wogenden Weizenfeldern, golden unter den fernen Schneefeldern von Estes, würde ich endlich das gute alte Denver sehen. Ich sah mich schon am selben Abend in einer Kneipe in Denver sitzen, inmitten der ganzen Clique, und in ihren Augen würde ich seltsam und abgerissen daherkommen, wie der Prophet, der quer über das Land kommt, um das geheimnisvolle Wort zu bringen, und das einzige Wort, das mir einfiel, war «Wow!» Der Mann und ich hatten ein langes, angenehmes Gespräch über unsere jeweiligen Pläne im Leben, und bevor ich es merkte, rollten wir schon über die Fruchtmärkte draußen vor Denver; da waren Schornsteine, viel Rauch, Eisenbahnschienen, rote Backsteingebäude und, zur Innenstadt hin, die grauen Sandsteinhäuser. Und ich war da, ich war in Denver. An der Larimer Street ließ er mich raus. Voller Freude und mit dem dämlichsten Grinsen der Welt stolperte ich auf die alten Landstreicher und abgetakelten Cowboys der Larimer Street zu.

sechs
    Damals kannte ich Dean noch nicht so gut wie heute, und als Erstes wollte ich Chad King aufsuchen, was ich auch tat. Ich rief bei ihm zu Hause an, sprach mit seiner Mutter – sie sagte: «Ach, Sal, was machst du denn in Denver?» Chad ist ein schmaler blonder Junge mit einem sonderbaren Schamanen-Gesicht, das gut zu seinem Interesse für Anthropologie und prähistorische Indianer passt. Seine Nase wölbt sich mit sanftem, beinah sahnigem Schwung unter einer goldblonden Mähne; er hat die Schönheit und Anmut eines Helden aus dem Wilden Westen, der in Kneipen getanzt und ein bisschen Football gespielt hat. Wenn er spricht, kommt ein näselndes Tremolo heraus. «Was mir an den Prärie-Indianern immer gefallen hat, Sal, ist die Art, wie sie verlegen wurden, wenn sie die Zahl ihrer erbeuteten Skalps vorgeführt hatten. In Ruxtons Leben im fernen Westen kommt ein Indianer vor, der ganz rot wird vor Scham, weil er so viele Skalps hat, und dann rennt er wie wild in die Prärie

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