Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
Vom Netzwerk:
Wohnung, ging mit Betty, der Schwester von Tim Gray. Ich war der Einzige, der kein Mädchen hatte. Jeden fragte ich: «Wo ist Dean?» Alle lächelten nur und gaben mir keine Antwort.
    Dann endlich passierte es. Das Telefon klingelte, und es war Carlo Marx. Er gab mir die Adresse seiner Kellerwohnung. «Was machst du hier in Denver?», fragte ich. «Ich meine, was machst du wirklich? Was läuft hier eigentlich?»
    «Oh, warte, bis ich’s dir erzähle.»
    Ich rannte hin, um ihn zu sehen. Er arbeitete nachts in May’s Department Store; der verrückte Ray Rawlins hatte dort von einer Kneipe aus angerufen und die Pförtner auf Carlo gehetzt, mit einer Nachricht, als ginge es um einen Todesfall. Carlo dachte sofort, ich sei der Tote. Und am Telefon hatte Rawlins dann gesagt: «Sal ist in Denver.» Und hatte ihm meine Adresse und Telefonnummer gegeben.
    «Und wo ist Dean?»
    «Dean ist in Denver. Lass dir erzählen.» Und er erzählte mir, dass Dean zwei Mädchen gleichzeitig liebte, die eine davon Marylou, seine erste Frau, die ihn in einem Hotelzimmer erwartete, und Camille, eine neue Flamme, die ihn ebenfalls in einem Hotelzimmer erwartete. «Zwischen den beiden rast er zu mir herüber, wegen der Sache, die zwischen uns anliegt.»
    «Und was ist das für eine Sache?»
    «Dean und ich haben uns auf ein ungeheuerliches Unternehmen eingelassen. Wir versuchen uns mit absoluter Ehrlichkeit und absoluter Vollständigkeit alles mitzuteilen, was uns so durch den Kopf geht. Dazu war’s nötig, Benzedrin zu nehmen. Wir sitzen auf dem Bett, mit untergeschlagenen Beinen, und sehen einander in die Augen. Schließlich habe ich Dean dann klargemacht, dass er alles schaffen kann, was er will, Bürgermeister von Denver werden, eine Millionärstochter heiraten oder der größte Dichter seit Rimbaud werden. Aber er läuft dauernd los und schaut sich die Minicar-Rennen an. Und ich muss mit. Er tobt und schreit und regt sich furchtbar auf. Weißt du, Sal, Dean ist echt süchtig auf solche Sachen.» Marx schien in seiner Seele «Hmmm» zu machen und versank in tiefes Grübeln.
    «Wie ist der Zeitplan?», sagte ich. Es gab immer Zeitpläne in Deans Leben.
    «Der Zeitplan sieht so aus: Vor einer halben Stunde bin ich von der Arbeit gekommen. In diesem Moment ist Dean im Hotel mit Marylou am Vögeln und lässt mir Zeit, mich umzuziehen. Punkt eins rast er von Marylou zu Camille – natürlich weiß keine von beiden, was läuft – und bumst sie auf die Schnelle – was mir Zeit lässt, um Punkt ein Uhr dreißig dort zu sein. Dann zieht er mit mir los – vorher muss er noch betteln bei Camille, die mich allmählich schon hasst –, und wir sitzen hier und quatschen bis sechs Uhr früh. Normalerweise sind wir noch länger zusammen, aber die Sache wird immer komplizierter, und nie hat er Zeit. Um sechs geht er wieder zu Marylou – und morgen wird er den ganzen Tag rumlaufen, um die nötigen Papiere für die Scheidung zusammenzubringen. Marylou ist durchaus einverstanden, aber bis es so weit ist, will sie mit ihm bumsen. Sie sagt, sie liebt ihn – und das Gleiche sagt Camille.»
    Dann erzählte er mir, wie Dean Camille kennengelernt hatte. Roy Johnson, der Typ aus der Billardhalle, hatte sie in einer Bar aufgetan und in ein Hotel abgeschleppt. Kopflos vor Stolz lud er die ganze Clique ein, heraufzukommen und sie anzuschauen. Alle saßen rum und redeten mit Camille. Dean machte nichts, er schaute aus dem Fenster. Dann, als alle gingen, sah Dean Camille nur an, deutete auf sein Handgelenk und hob vier Finger, was besagte, dass er Punkt vier wiederkommen würde, und ging. Um drei blieb die Tür für Roy Johnson verschlossen. Um vier wurde sie für Dean geöffnet. Am liebsten wäre ich auf der Stelle losgerannt, um den Verrückten wiederzusehen. Außerdem hatte er versprochen, für mich was zu arrangieren; er kannte ja alle Mädchen in der Stadt.
    Carlo und ich liefen durch die heruntergekommenen Straßen der nächtlichen Stadt. Die Luft war mild, die Sterne so schön, die Verheißung all der kopfsteingepflasterten Seitengassen so phantastisch, dass mir war, als träumte ich. Wir kamen zu der Pension, wo Dean sich mit Camille kabbelte. Es war ein altes Backsteingebäude, umgeben von hölzernen Garagen und alten Bäumen, die hinter Lattenzäunen aufragten. Wir gingen die mit einem Läufer belegte Treppe hinauf. Carlo klopfte; dann sprang er zurück, um sich zu verstecken; er wollte nicht, dass Camille ihn sah. Ich blieb vor der Tür stehen. Dean

Weitere Kostenlose Bücher