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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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hinaus, um allein und für sich auf seine Taten stolz zu sein. Ich sage dir, das hat mir Spaß gemacht!»
    Chads Mutter machte ihn ausfindig, an diesem schläfrigen Nachmittag in Denver, er saß im Stadtmuseum an seiner Arbeit über indianische Korbflechterei. Ich rief ihn dort an; er kam und holte mich ab mit seinem alten Ford-Coupé, mit dem er sonst Ausflüge in die Berge machte, um nach indianischen Sachen zu graben. In Jeans und mit breitem Grinsen kam er zum Busbahnhof. Ich hockte auf meinem Seesack am Boden und sprach mit dem Matrosen, der in Cheyenne auf dem Busbahnhof gewesen war; ich wollte von ihm wissen, was mit der kleinen Blonden los war. Das ödete ihn dermaßen an, dass er nicht einmal antwortete. Chad und ich stiegen in das kleine Coupé, und er hatte nichts Eiligeres zu tun, als sich Landkarten aus dem Regierungsgebäude zu holen. Dann musste er eine alte Lehrerin besuchen und so weiter, während ich doch nichts anderes wollte als ein Bier. Und in meinem Hinterkopf lauerte die aufgeregte Frage: Wo ist Dean, was mag er gerade machen? Chad hatte aus irgendwelchen sonderbaren Gründen beschlossen, nicht mehr Deans Freund zu sein, und er wusste nicht einmal, wo er jetzt wohnte.
    «Ist Carlo Marx in der Stadt?»
    «Ja.» Aber auch mit ihm sprach er nicht mehr. Dies war der Anfang von Chad Kings Rückzug aus unserer größeren Clique. Ich sollte an diesem Nachmittag bei ihm zu Hause ein Stündchen schlafen. Es hieß, dass Tim Gray eine Wohnung für mich hätte, oben an der Colfax Avenue, und dass Roland Major schon dort wohnte und darauf wartete, dass ich ihm Gesellschaft leistete. Ich witterte eine Art von Verschwörung, und diese Verschwörung spaltete die Clique in zwei Gruppen: Chad King und Tim Gray und Roland Major waren sich, zusammen mit den Rawlins-Geschwistern, einig, Dean Moriarty und Carlo Marx einfach zu schneiden. Ich geriet zwischen die Fronten dieses spannenden Krieges.
    Es war ein Krieg mit sozialen Untertönen. Dean war der Sohn eines Säufers, eines der verkommensten Penner von der Larimer Street, und tatsächlich war Dean hauptsächlich auf der Larimer Street und in ihrer Umgebung aufgewachsen. Mit sechs Jahren schon musste er vor Gericht darum bitten, dass sein Vater freigelassen wurde. Er ging betteln an den Seitengassen der Larimer Street und steckte das Geld heimlich seinem Vater zu, der mit einem alten Kumpan zwischen zerbrochenen Weinflaschen wartete. Als Dean größer wurde, hing er viel in den Billardhallen an der Glenarm Street herum; er stellte in Denver einen Rekord im Autoknacken auf und kam in den Jugendknast. Zwischen elf und siebzehn war er meistens in der Besserungsanstalt. Seine Spezialität war, Autos zu klauen und sich an Mädchen heranzumachen, wenn sie nachmittags aus der Schule kamen, mit ihnen in die Berge zu fahren, sie flachzulegen und zurückzukommen, um sich in irgendeinem Hotel der Stadt in eine freie Badewanne zu legen und auszuschlafen. Sein Vater, einst ein angesehener, hart arbeitender Klempner, war dem Rotwein verfallen, was noch schlimmer ist als Whisky, und hatte nichts Besseres mehr zu tun, als im Winter auf Güterzügen nach Texas zu gondeln und im Sommer zurück nach Denver. Dean hatte noch Brüder von der Seite seiner verstorbenen Mutter – sie starb, als er noch klein war –, aber sie wollten nichts von ihm wissen. Seine einzigen Freunde waren die Jungs aus der Billardhalle. Dean, der die wahnwitzige Energie eines neuen amerikanischen Heiligentyps hatte, und Carlo waren die Ungeheuer der Untergrundszene von Denver in dieser Saison, zusammen mit den Billardhallentypen, und wie um dies sinnig zu symbolisieren, hauste Carlo in einem Kellerloch in der Grant Street, wo wir manche Nacht bis in die Morgenfrühe beisammen hockten: Carlo, Dean, ich, Tom Snark, Ed Dunkel und Roy Johnson. Mehr von ihnen allen später.
    Meinen ersten Nachmittag in Denver verschlief ich in Chad Kings Zimmer, während seine Mutter unten ihre Hausarbeiten erledigte und Chad in der Bibliothek arbeitete. Es war ein heißer Prärie-Nachmittag im Juli. Ich hätte in der Hitze nicht schlafen können, wäre da nicht diese Erfindung von Chad Kings Vater gewesen. Chad Kings Vater, ein netter, freundlicher Mann in den Siebzigern, war alt und zerbrechlich, mager und ausgemergelt und erzählte ganz langsam und genüsslich Geschichten, gute Geschichten sogar, aus seiner Jugend in der Prärie von North Dakota in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts, als er sich die Zeit damit

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