Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
Vom Netzwerk:
und wollte wissen, wann sie frei hätte. Sie rannte geschäftig hin und her, um den Laden bald zu schließen. Ich musste abhauen. Zum Abschied schenkte ich ihr ein Lächeln. Draußen war nach wie vor schwer was los, und die fetten Säufer waren jetzt noch betrunkener und johlten noch lauter. Es war komisch. Indianerhäuptlinge spazierten mit mächtigem Kopfschmuck feierlich zwischen den vom Suff geröteten Gesichtern umher. Ich sah Slim dahintorkeln und holte ihn ein.
    Er sagte: «Ich hab gerade eine Postkarte an meinen Pa in Montana geschrieben. Kannst du vielleicht einen Briefkasten suchen und sie einwerfen?» Es war eine sonderbare Bitte; er gab mir die Postkarte und wankte durch die Schwingtür eines Saloons. Ich nahm die Postkarte, lief zum Briefkasten und warf einen Blick darauf. «Lieber Pa, ich komme Mittwoch nach Hause. Mir geht es gut, alles in Ordnung, ich hoffe, bei Dir auch. Richard.» Das änderte mein Bild von ihm; wie zärtlich und höflich er zu seinem Vater war. Ich ging in die Bar und blieb mit ihm zusammen. Wir rissen zwei Mädchen auf, eine hübsche junge Blonde und eine fette Brünette. Es waren mürrische dumme Dinger, aber wir wollten sie flachlegen. Wir schleppten sie in einen heruntergekommenen Nachtklub, wo man schon dichtmachen wollte, und dort gab ich mein ganzes Geld aus, bis auf zwei Dollar: Scotch für die beiden und Bier für uns. Ich ließ mich volllaufen, und es war mir egal; alles war bestens. Mein ganzes Sinnen und Trachten war auf die kleine Blonde gerichtet. Mit aller Kraft wollte ich an sie ran. Ich umarmte sie und wollte es ihr sagen. Der Nachtklub schloss, und wir wanderten hinaus auf die schäbigen staubigen Straßen. Ich schaute zum Himmel hinauf; die reinen, wunderbaren Sterne waren noch da und blinkten. Die Mädchen wollten zum Busbahnhof, also liefen wir hin, aber anscheinend wollten sie irgendeinen Matrosen treffen, der dort auf sie wartete, ein Cousin der dicken Kleinen, und der Matrose hatte ein paar Freunde dabei. Ich sagte zu der Blonden: «Na, was ist?» Sie sagte, sie wolle nach Hause, nach Colorado, gleich hinter der Grenze, südlich von Cheyenne. «Ich bring dich im Bus hin», sagte ich.
    «Nein, der Bus hält am Highway, und dann muss ich ganz allein über die verdammte Prärie laufen. Ich schau mir die trostlose Gegend den ganzen Nachmittag an und hab keine Lust, auch noch heut nacht da rüberzulaufen.»
    «Ah, hör zu, wir machen einen netten Spaziergang durch die Blumen der Prärie.»
    «Da gibt’s keine Blumen», sagte sie. «Ich will nach New York. Hier ödet mich alles an. Nichts, wo man hingehen kann, außer nach Cheyenne, und in Cheyenne ist nichts los.»
    «In New York ist auch nichts los.»
    «Und ob da was los ist», sagte sie und verzog den Mund.
    Im Busbahnhof drängten sich die Leute bis an die Türen. Menschen aller Art warteten auf Busse oder standen einfach herum; es waren eine Menge Indianer da, die alles mit ihren steinernen Augen beobachteten. Das Mädchen befreite sich von meinem Geschwätz und fand ihren Seemann und die anderen. Slim döste auf einer Bank. Ich setzte mich. Die Fußböden der Busbahnhöfe sind überall im Land die Gleichen, immer mit Kippen und Spucke übersät; sie vermitteln einem ein trauriges Gefühl, das es so nur auf Busbahnhöfen gibt. Einen Moment lang kam es mir nicht anders vor als in Newark, abgesehen von der gewaltigen Weite dort draußen, die ich so liebte. Jetzt bereute ich, dass ich die Reinheit meiner ganzen Fahrt zerstört hatte, dass ich nicht jeden Cent gespart und dass ich herumgetrödelt hatte, ohne recht vorwärts zu kommen, dass ich mit diesem mürrischen Ding rumgeblödelt und mein ganzes Geld ausgegeben hatte. Es machte mich krank. So lange hatte ich nicht geschlafen, dass ich zu müde war, um zu fluchen und Theater zu machen; ich wollte nur schlafen und rollte mich auf der Bank zusammen, mit meinem Seesack als Kopfkissen, und schlief bis acht Uhr morgens durch, mitten im träumerischen Gemurmel und Lärm des Bahnhofs und der hundert und Aberhundert vorbeilaufenden Menschen.
    Ich wachte mit furchtbaren Kopfschmerzen auf. Slim war verschwunden – nach Montana, nehme ich an. Ich ging nach draußen. Und dort, in der blauen Luft, sah ich zum ersten Mal in weiter Ferne die hohen Schneegipfel der Rocky Mountains. Ich holte tief Atem. Ich musste sofort nach Denver. Zuerst frühstückte ich, ganz bescheiden, Toast und Kaffee und nur ein Ei, und dann verkrümelte ich mich aus der Stadt und ging zum

Weitere Kostenlose Bücher