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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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in dieser Nacht und das Flüstern des Windes, außer in der Schlucht, wo wir tobten. Und auf der anderen Seite der Wasserscheide lagen die weiten Hänge des Westens und das Hochplateau, das sich bis Steamboat Springs hinzog und abbrach und einen in die Wüste des westlichen Colorado und in die Wüste von Utah führte; all dies lag jetzt im Dunkel, während wir in unserem Gebirgswinkel tollten und brüllten, ein paar verrückte, betrunkene Amerikaner in diesem gewaltigen Land. Wir standen auf dem Dach Amerikas, und uns fiel offenbar nichts anderes ein, als herumzuschreien – durch die Nacht und ostwärts über die Prärie, wo wahrscheinlich irgendwo ein weißhaariger alter Mann zu uns unterwegs war, der das WORT brachte und jeden Moment eintreffen und uns zum Schweigen bringen konnte.
    Rawlins wollte unbedingt in die Bar zurückgehen, wo er sich geprügelt hatte. Tim und ich waren von dieser Idee nicht sehr begeistert, aber wir ließen ihn nicht im Stich. Er baute sich vor D’Annunzio auf, dem Tenor, und kippte ihm einen Highball ins Gesicht. Wir schleppten ihn hinaus. Ein Bariton aus dem Chor schloss sich uns an, und wir zogen in eine normale Bar der Einheimischen von Central City. Dort nannte Ray die Kellnerin eine Hure. Eine Gruppe mürrischer Männer stand vor der Theke; sie hassten Touristen. Einer von ihnen sagte: «Ihr verschwindet hier besser, bevor ich bis zehn zähle.» Das taten wir. Torkelnd kehrten wir zu der Baracke zurück und legten uns schlafen.
    Am Morgen erwachte ich und wälzte mich auf die andere Seite; eine mächtige Staubwolke stieg von der Matratze auf. Ich rüttelte am Fenster; es war verschlossen. Auch Tim Gray lag noch im Bett. Wir husteten und schnieften. Unser Frühstück bestand aus schalem Bier. Babe kam von ihrem Hotel herüber, und wir packten unsere Sachen und hauten ab.
    Alles geriet, wie es schien, aus den Fugen. Als wir zum Auto hinausgingen, rutschte Babe aus und fiel flach aufs Gesicht. Das arme Mädchen war total überdreht. Ihr Bruder und Tim und ich halfen ihr auf die Beine. Wir stiegen ein, und Major und Betty kamen hinterher. So begann die traurige Rückfahrt nach Denver.
    Plötzlich lagen die Berge hinter uns, und wir blickten über die Ebene von Denver, weit wie ein Meer. Hitze wie aus einem Backofen schlug uns entgegen. Wir fingen an, Schlager zu singen. Ich brannte darauf, weiterzufahren nach San Francisco.

zehn
    An diesem Abend traf ich Carlo, und zu meiner Verwunderung sagte er mir, er sei mit Dean in Central City gewesen.
    «Was habt ihr gemacht?»
    «Oh, wir sind durch die Bars gezogen, und dann hat Dean ein Auto geknackt und wir sind mit hundertvierzig Sachen durch die Gebirgskurven zurückgebraust.»
    «Ich hab euch nicht gesehen.»
    «Wir wussten nicht, dass du da warst.»
    «Tja, Mann, ich gehe jetzt jedenfalls nach San Francisco.»
    «Dean hat Rita für dich angeworben, für heute Abend.»
    «Gut, dann will ich’s verschieben.» Ich hatte kein Geld. Ich schrieb meiner Tante einen Luftpostbrief und bat sie um fünfzig Dollar und sagte, dies sei meine letzte Bitte um Geld; danach würde sie Geld von mir zurückbekommen, sobald ich auf dem Schiff sei.
    Dann holte ich Rita Bettencourt ab und nahm sie mit in die Wohnung. Nach langem Gerede im dunklen Wohnzimmer konnte ich sie in mein Zimmer ziehen. Sie war ein nettes kleines Ding, schlicht und wahrhaftig, und hatte furchtbare Angst vor Sex. Ich erzählte ihr, wie schön es sei. Und ich wollte es ihr beweisen. Sie ließ es mich beweisen, aber ich war zu ungeduldig und bewies gar nichts. Sie seufzte im Dunkeln. «Was erwartest du dir vom Leben?», fragte ich. Das fragte ich die Mädchen immer.
    «Ich weiß nicht», sagte sie. «An Tischen bedienen und versuchen, über die Runden zu kommen.» Sie gähnte. Ich legte ihr die Hand auf den Mund und sagte, sie solle nicht gähnen. Und ich versuchte ihr zu sagen, wie begeistert ich vom Leben sei, von den Dingen, die wir zusammen machen könnten; das sagte ich, und dabei hatte ich vor, in zwei Tagen aus Denver zu verschwinden. Sie wandte sich müde ab. Wir lagen auf dem Rücken, starrten an die Zimmerdecke und fragten uns, was Gott da angestellt hatte, als er das Leben so trostlos machte. Wir machten vage Pläne, uns in San Francisco zu treffen.
    Meine Zeit in Denver ging zu Ende, ich spürte es, als ich sie zu Fuß nach Hause brachte; auf dem Rückweg streckte ich mich auf dem Rasen vor einer alten Kirche zwischen einer Horde von Landstreichern aus, und ihre Reden machten

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