Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
Vom Netzwerk:
unter aufrichtig klingenden Aaahs und Ooohs sein breites Partylächeln. «Sal», rief er und packte mich am Arm, «schau nur, diese alte Stadt! Stell dir vor, wie es vor hundert Jahren, was sage ich, vor achtzig, vor sechzig Jahren hier war. Sie hatten ein Opernhaus!»
    «Yeah», sagte ich, eine seiner Romangestalten parodierend, «aber sie sind da.»
    «Die Dreckskerle», fluchte er. Doch dann zog er los, Betty Gray am Arm, um sich auch zu amüsieren.
    Babe Rawlins war eine unternehmungslustige Blonde. Sie wusste von einer alten Bergmannshütte am Rand der Stadt, wo wir Jungs über das Wochenende schlafen konnten; wir mussten nur sauber machen. Wir konnten auch große Partys dort schmeißen. Es war eine alte Baracke, und drinnen lag fingerdick Staub; es gab eine Veranda und hinten einen Brunnen. Tim Gray und Ray Rawlins krempelten die Ärmel hoch und fingen an zu putzen, eine Mordsarbeit, die sie den ganzen Nachmittag und bis in den Abend beschäftigt hielt. Aber sie hatten einen Eimer voll Bierflaschen, und alles war bestens.
    Ich selber war an diesem Nachmittag Gast des Opernhauses, als Begleiter von Babe. Ich trug einen Anzug von Tim. Vor ein paar Tagen erst war ich wie ein Landstreicher nach Denver gekommen; jetzt war ich aufgetakelt in einem schicken Anzug, mit einer schönen, elegant gekleideten Blondine am Arm, dienerte vor Würdenträgern und plauderte unter Kronleuchtern in der Wandelhalle. Was würde Mississippi Gene sagen, dachte ich, wenn er mich sehen könnte?
    Es wurde Fidelio gegeben. «Gott! Welch Dunkel hier!», dröhnte der Bariton, als er unter einem ächzenden Stein aus dem Kerker hervorkam. Dem konnte ich nur zustimmen. So sehe ich das Leben auch. Ich war so gefesselt von dieser Oper, dass ich eine Weile mein verrücktes Leben vergaß und mich an die großartigen traurigen Klänge Beethovens und die üppigen Rembrandtfarben seiner Story verlor.
    «Na, Sal, wie hat Ihnen die diesjährige Produktion gefallen?», fragte Denver D. Doll stolz auf der Straße draußen. Er hatte etwas mit der Opern-Vereinigung zu tun.
    «Gott! Welch Dunkel hier, welch Dunkel hier», sagte ich. «Absolut großartig.»
    «Als Nächstes müssen Sie jetzt die Mitglieder des Ensembles kennenlernen», fuhr er in seinem offiziellen Ton fort, doch zum Glück vergaß er seine Absicht im Trubel anderer Dinge und verschwand.
    Babe und ich gingen zurück zu der Bergmannshütte. Ich zog meine Klamotten aus und half den Jungs beim Putzen. Es war eine Riesenschufterei. Roland Major saß mitten im vorderen Zimmer, das schon fertig geputzt war, und weigerte sich zu helfen. Vor sich auf einem kleinen Tisch hatte er seine Bierflasche und sein Glas. Und während wir mit Eimern und Besen herumliefen, schwelgte er in Erinnerungen. «Ah, könntet ihr nur mal mit mir kommen und Cinzano trinken und die Musiker von Bandol hören, das wäre ein Leben. Und die Normandie im Sommer, les sabots , der edle alte Calvados. Mach schon, Sam», sagte er zu seinem unsichtbaren Kumpan. «Nimm den Wein aus dem Wasser und lass sehen, ob er kalt genug geworden ist, während wir angelten.» Es war direkt aus Hemingway.
    Wir riefen Mädchen nach, die auf der Straße vorbeigingen. «Kommt und helft uns den Laden sauber machen. Alle sind eingeladen zu unserer Party heute Abend.» Sie kamen und machten mit. Wir hatten eine riesige Putzkolonne, die für uns arbeitete. Schließlich kamen die Sänger vom Opernchor herüber, hauptsächlich junge Leute, und packten mit an. Die Sonne ging unter.
    Unser Tagwerk war geschafft. Tim, Rawlins und ich beschlossen, uns für den großen Abend chic zu machen. Wir gingen durch die Stadt zu der Pension, wo die Opernstars abgestiegen waren. Durch die Dunkelheit hörten wir den Beginn der Abendvorstellung. «Genau der richtige Moment», sagte Rawlins. «Schnappen wir uns Rasierapparate und Handtücher, und machen wir uns fein.» Wir nahmen auch Haarbürsten, Eau de Cologne, Rasierwasser zusammen und gingen schwer beladen ins Badezimmer. Wir badeten und sangen in der Wanne. «Ist das nicht großartig?», sagte Tim Gray immer wieder. «Dass wir das Bad und die Handtücher und das Rasierwasser und die elektrischen Rasierapparate der Opernstars benutzen können.»
    Es war ein wunderbarer Abend. Central City liegt dreitausend Meter hoch. Zuerst wird man betrunken von der Höhenluft, dann wird man müde, und dann packt einen ein Fieber in der Seele. Durch die enge dunkle Straße näherten wir uns den Lichtern rings um das Opernhaus; dann

Weitere Kostenlose Bücher