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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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verpulverte eine Menge Geld. Nicht, dass er mir jemals Vorwürfe machte, weil ich ihm sein Mädchen ausgespannt hatte; dies war eher ein Punkt, der uns auf immer verband; der Junge war mir ein treuer Freund und hatte mich wirklich gern, und Gott weiß warum.
    Als ich ihn an diesem Morgen in Mill City fand, waren für ihn die üblen und schlimmen Zeiten angebrochen, die über manche Typen hereinbrechen, wenn sie Mitte zwanzig sind. Er hing herum, wartete auf ein Schiff, und um sich über Wasser zu halten, hatte er einen Job als Wachmann in der Kaserne jenseits der Schlucht angenommen. Sein Mädchen, Lee Ann, hatte eine böse Zunge und stauchte ihn täglich zusammen. Die ganze Woche lang drehten sie jeden Penny um, und wenn sie samstags ausgingen, gaben sie in drei Stunden fünfzig Dollar aus. Zu Hause, in der Baracke, lief Remi in Unterhosen herum, mit einer idiotischen Armymütze auf dem Kopf. Lee Ann rannte mit Lockenwicklern im Haar herum. In solcher Aufmachung brüllten sie sich die ganze Woche lang an. Niemals in meinen Erdentagen hab ich so viel Gekeife erlebt. Am Samstagabend aber lächelten sie einander huldvoll an und zogen los wie zwei erfolgreiche Hollywoodschauspieler, um die Stadt unsicher zu machen.
    Remi erwachte und sah mich durchs Fenster kommen. Sein unbändiges Gelächter – er konnte lachen wie sonst keiner in der Welt – dröhnte mir in den Ohren. «Aaaaah, Paradise, er kommt durchs Fenster, er folgt den Anweisungen bis auf den i-Punkt. Wo hast du gesteckt, du kommst zwei Wochen zu spät!» Er klatschte mir auf den Rücken, er boxte Lee Ann in die Rippen, er ließ sich gegen die Wand fallen und lachte und schrie, er hieb mit der Faust auf den Tisch, dass man es überall in Mill City hören konnte, und sein langes gewaltiges «Aaaaah» hallte durch den Canyon. «Paradise!», brüllte er. «Der einmalige und unnachahmliche Paradise.»
    Ich war gerade durch das kleine Fischerdorf Sausalito gekommen, und als Erstes sagte ich: «Muss eine Menge Italiener in Sausalito geben.»
    «Muss eine Menge Italiener in Sausalito geben!», schrie er aus vollem Hals. «Aaaaah!» Er boxte sich selbst, ließ sich aufs Bett fallen, kugelte fast auf den Boden. «Hast du gehört, was Paradise sagt? Muss eine Menge Italiener in Sausalito geben? Aaaah-haaa! Hoho! Wow! Uuuuh!» Er lief krebsrot an vor Lachen. «Oh, du bringst mich um, Paradise, du bist der komischste Vogel von der Welt, und da bist du, da bist du endlich, er ist durchs Fenster reingekommen, hast du gesehen, Lee Ann, er hat die Anweisungen befolgt und ist durchs Fenster gestiegen. Aaah! Oooh!»
    Das Seltsame war, dass Tür an Tür neben Remi ein Schwarzer wohnte, ein Mr.   Snow, dessen Gelächter, ich schwör’s auf die Bibel, eindeutig und endgültig die allergewaltigste Lache in der ganzen Welt war. Und dieser Mr.   Snow begann jetzt beim Abendessen zu lachen, als seine Frau irgendetwas Belangloses sagte; er sprang auf, schon am Ersticken, wie es schien, lehnte sich an die Wand, starrte zum Himmel hinauf und legte los; er taumelte durch die Tür, stieß gegen die Wände der Nachbarn. Er war wie besoffen davon, torkelte durch die Abendschatten von Mill City und erhob sein wieherndes Triumphgeheul zu dem göttlichen Dämon, der es ihm verliehen haben musste. Ich weiß nicht, ob er dieses Abendessen je beendet hat. Gut möglich, dass sich Remi, ohne es zu wissen, von diesem erstaunlichen Kerl, Mr.   Snow, hatte anstecken lassen. Und obwohl Remi berufliche Probleme hatte und außerdem ein trostloses Liebesleben mit einer scharfzüngigen Frau, hatte er doch zumindest gelernt, besser zu lachen als sonst jemand auf der Welt, und ich sah schon voraus, wie viel Spaß wir in Frisco haben würden.
    Das Arrangement sah so aus: Remi schlief mit Lee Ann in dem Bett an der anderen Seite des Zimmers, und ich schlief auf dem Feldbett am Fenster. Ich durfte Lee Ann nicht anfassen. Remi hielt mir darüber sogleich einen Vortrag. «Ich möchte nicht feststellen, dass ihr beide herumfummelt, wenn ihr glaubt, dass ich nicht hinschaue. Du kannst dem alten Maestro keine neue Melodie beibringen. Das ist ein Sprichwort, und es stammt von mir.» Ich sah mir Lee Ann genauer an. Sie war ein appetitlicher Käfer, ein honigblondes Wesen, aber in ihren Augen war Hass auf uns beide. Ihr ganzes Streben war darauf gerichtet, einen reichen Mann zu heiraten. Sie stammte aus einer kleinen Stadt in Oregon. Und sie bereute den Tag, an dem sie sich mit Remi eingelassen hatte. An einem

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