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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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mir Lust, bald wieder unterwegs zu sein. Ab und zu stand einer von ihnen auf und haute einen Passanten um einen Dime an. Sie redeten von der Ernte, die sich nach Norden bewegte. Es war warm und milde. Ich wäre am liebsten losgelaufen und hätte Rita noch einmal geholt und ihr viele Dinge gesagt und sie diesmal richtig geliebt und ihre Angst vor Männern beschwichtigt. Jungen und Mädchen in Amerika haben es nicht gut miteinander; sie müssen perfekt sein und deshalb wird von ihnen erwartet, sofort miteinander ins Bett zu gehen, ohne vorher richtig zu reden. Kein Umwerben – keine echten und ehrlichen Gespräche über die Seele, wenn doch das Leben heilig und jeder Moment kostbar ist. Ich hörte die Lokomotive der Denver-and-Rio-Grande -Bahnfern in den Bergen heulen. Ich wollte weiter meinem Stern folgen.
    Major und ich saßen da und redeten trübe bis Mitternacht. «Hast du Green Hills of Africa gelesen? Ist das Beste von Hemingway.» Wir wünschten einander Glück. In Frisco würden wir uns wiedersehen. Rawlins traf ich im Dunkeln unter einem Baum an der Straße. «Goodby, Ray. Wann treffen wir uns wieder?» Dann ging ich Dean und Carlo suchen – sie waren nicht zu finden. Tim Gray hob die Hand in die Luft und sagte: «Du gehst also, Yo.» Wir sagen Yo zueinander. «Yep», sagte ich. Die nächsten Tage wanderte ich in Denver herum. Mir schien, dass jeder Penner an der Larimer Street der Vater von Dean Moriarty sein konnte; Old Dean Moriarty, der Klempner, so nannten ihn alle. Ich ging ins Windsor Hotel, wo Vater und Sohn gehaust hatten und wo Dean eines Nachts so fürchterlich von dem Mann ohne Beine auf dem Rollbrett geweckt worden war, der mit ihnen das Zimmer teilte. Donnernd war er auf seinen schrecklichen Rädern über die Bodenbretter gekommen, um den Jungen anzufassen. Ich sah die Zeitungen verkaufende Liliputanerin mit ihren kurzen Beinen an der Ecke von Curtis und 15th Street. Ich schlenderte durch die trostlosen Spelunken an der Curtis Street; junge Burschen in Jeans und roten Hemden; Erdnussschalen am Boden, überdachte Kinoeingänge, Schießbuden. Jenseits der lichterglitzernden Straße war Dunkelheit, und jenseits der Dunkelheit war der Westen. Ich musste fort.
    Im Morgengrauen fand ich Carlo. Ich las ein wenig in seinem riesigen Tagebuch, schlief dort, und am Vormittag, der trübe und grau war, kam der eins achtzig große, hagere Ed Dunkel herein, zusammen mit Roy Johnson, einem gutaussehenden Jungen, und Tom Snark, dem hinkefüßigen Billardhai. Sie saßen da und lauschten mit verlegenem Lächeln, während Carlo Marx ihnen seine verrückten apokalyptischen Gedichte vorlas. Ich sank auf meinem Stuhl zusammen, ich war fertig. «Oh, Denver-Vögel!», brüllte Carlo. Wir gingen alle nach draußen und wanderten eine für Denver typische kopfsteingepflasterte Gasse entlang, zwischen träge qualmenden Abfallöfen. «In dieser Gasse habe ich früher meinen Reifen rollen lassen», hatte Chad King mir erzählt. Ich wünschte, ich hätte ihm dabei zusehen können; ich wünschte, ich hätte Denver vor zehn Jahren gesehen, als sie alle noch Kinder waren und in der sonnigen Kirschblütenfrühe des Rocky-Mountains-Frühlings ihre Reifen durch fröhliche Gassen voller Verheißung rollten – die ganze Clique. Und Dean, zerlumpt und schmutzig, wie er allein in seiner gedankenverlorenen Raserei umherstreifte.
    Roy Johnson und ich spazierten durch den Nieselregen. Ich ging zu dem Haus, wo Eddies Mädchen wohnte, um mir mein kariertes wollenes Hemd zurückzuholen, das Hemd aus Shelton, Nebraska. Da war es, zusammengeknüllt, die ganze enorme Trostlosigkeit eines Hemdes. Roy Johnson sagte, wir würden uns in Frisco treffen. Alle wollten sie nach Frisco. Ich ging zur Post und stellte fest, dass mein Geld angekommen war. Die Sonne brach durch die Wolken, und Tim Gray begleitete mich im Trolley zum Busbahnhof. Ich kaufte mir mein Ticket nach San Fran, gab dafür die Hälfte meiner fünfzig Bucks aus und stieg um zwei Uhr nachmittags ein. Tim Gray winkte. Der Bus rollte durch die geschichtsumwobenen wimmelnden Straßen von Denver hinaus. «Bei Gott, ich muss wiederkommen und sehen, was noch alles passiert!», schwor ich mir. In einem Telefongespräch in letzter Minute hatte Dean gesagt, er und Carlo würden vielleicht nachkommen an die Küste; während ich darüber nachdachte, wurde mir bewusst, dass ich in der ganzen Zeit kaum fünf Minuten mit Dean gesprochen hatte.

elf
    Zum Treffen mit Remi Boncœur kam ich mit zwei

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