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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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Wochen Verspätung. Die Busfahrt von Denver nach Frisco verlief ohne Zwischenfälle – außer dass mir das Herz hüpfte, je näher wir der Stadt kamen. Wieder Cheyenne, diesmal am Nachmittag, und dann westwärts über die Bergkette; wir querten die große Wasserscheide gegen Mitternacht bei Creston und kamen im Morgengrauen in Salt Lake City an – eine Stadt voller Rasensprenger, ganz unvorstellbar, dass Dean hier geboren worden war; dann hinaus nach Nevada in glühender Sonne, Reno bei Anbruch der Nacht, mit seinen glitzernden chinesischen Straßen; dann hinauf in die Sierra Nevada, Fichten, Sterne, Berghütten, die von Liebesromanzen in Frisco erzählten – ein kleines Mädchen hinten im Bus jammerte dauernd: «Mama, wann kommen wir heim nach Truckee?» Und Truckee selbst, das gemütliche Truckee, und dann bergab in die Ebene von Sacramento. Plötzlich wurde es mir klar: Ich war in Kalifornien. Warme, palmenwedelnde Luft – eine Luft zum Küssen – und die Palmen. Am geschichtenumwitterten Sacramento River entlang auf einem Superhighway; wieder in die Hügel, aufwärts, abwärts, und plötzlich die unermessliche Weite der Bay (es war kurz vor der Morgendämmerung), jenseits mit den schläfrigen Lichtern von Frisco bekränzt. Bei der Fahrt über die Oakland Bay Bridge schlief ich fest ein, zum ersten Mal seit Denver, sodass ich im Busbahnhof an der Market und Fourth Street mit einem unsanften Ruck daran erinnert wurde, dass ich fünftausendeinhundertfünfzig Kilometer vom Haus meiner Tante in Paterson, New Jersey, entfernt war. Ich wanderte los wie ein verstörtes Gespenst, und da lag sie, die Stadt San Francisco – lange, öde Straßen mit Oberleitungen, alles in Nebel und weißen Dunst gehüllt. Ich stolperte ein paar Straßen weiter. Unheimliche Pennergestalten (an der Ecke Mission und Third Street) bettelten mich im Dämmerlicht um Dimes an. Irgendwo hörte ich Musik. Mann, das alles muss ich später checken! Aber zuerst muss ich Remi Boncœur finden.
    Mill City, wo Remi wohnte, war eine Ansammlung von Baracken in einem Tal, eine Wohnsiedlung für die Arbeiter von der Marinewerft, während des Krieges gebaut; sie lag unten in einer Schlucht, und zwar einer tiefen, die Hänge alle dicht mit Bäumen bestanden. Es gab Läden und Friseure und Schneidereien extra für die Bewohner der Siedlung. Dies war sozusagen das einzige Gemeinwesen in Amerika, wo Weiße und Schwarze freiwillig zusammenlebten; so war’s, tatsächlich, und es war eine so wilde und fröhliche Stadt, wie ich sie nie wieder gesehen habe. An der Tür von Remis Baracke hing ein Zettel, der dort drei Wochen vorher angepinnt worden war.
 
SAL PARADISE!
FALLS NIEMAND ZU HAUSE,
KLETTERE DURCHS FENSTER.
Gezeichnet,
Remi Boncœur
    Der Zettel war mittlerweile verwittert und grau.
    Ich kletterte hinein, und da lag er und schlief mit seinem Mädchen Lee Ann – auf einem Bett, das er von einem Handelsschiff gestohlen hatte, wie er mir später erzählte. Man stelle sich das vor, der Decksingenieur eines Handelsschiffs, wie er sich mitten in der Nacht mit einem Bett von Bord stiehlt und keuchend und schwitzend ans Ufer rudert. Das ist, mit einem Wort, Remi Boncœur.
    Ich muss alles, was in San Fran passierte, so ausführlich erzählen, weil es mit allem anderen, was sonst noch geschah, in Zusammenhang steht. Remi Boncœur und ich kannten uns seit Jahren, seit unserer frühesten Studentenzeit. Was uns aber wirklich miteinander verband, war meine frühere Frau. Remi hatte sie als Erster aufgetan. Er kam eines Abends in mein Zimmer im Studentenwohnheim und sagte: «Steh auf, Paradise, der alte Maestro ist da und will dich sehen.» Ich stand auf, und als ich meine Hose anzog, fielen ein paar Pennys auf den Boden. Es war vier Uhr nachmittags; damals, im College, habe ich die ganze Zeit gepennt. «Schon gut, schon gut, streu dein Geld nicht in der Gegend herum. Ich hab das wahnsinnigste Mädchen der Welt aufgetan und will gleich heut Abend mit ihr ins Lion’s Den gehen.» Und er schleppte mich mit zu seinem Treffen mit ihr. Eine Woche später ging sie mit mir. Remi war ein hochgewachsener, dunkelhaariger, gutaussehender Franzose (er sah ein bisschen wie ein zwanzigjähriger Schwarzhändler aus Marseille aus); weil er Franzose war, musste er natürlich amerikanischen Jazzer-Slang reden; sein Englisch war perfekt, sein Französisch war perfekt. Er trug gern schicke Klamotten mit einem leichten studentischen Touch, ging gern mit auffallenden Blondinen aus und

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