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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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bogen wir scharf nach rechts und stießen auf ein paar von den Western-Saloons mit ihren Schwingtüren. Die meisten Touristen waren in der Oper. Zum Einstieg zischten wir ein paar extra große Biere. Es gab ein elektrisches Klavier. Durch die Hintertür sah man die Berghänge im Mondlicht. Ich stieß einen Juchzer aus. Die Nacht hatte begonnen.
    Wir liefen zurück zu unserer Bergarbeiterhütte. Die Vorbereitungen für die große Party waren in vollem Gang. Die Mädchen, Babe und Betty, kochten Bohnensuppe mit Frankfurtern, und dann tanzten wir und machten uns über das Bier her. Als die Oper zu Ende war, strömten Scharen von Mädchen zu uns herein. Rawlins und Tim und ich leckten uns die Lippen. Wir packten die Mädchen und tanzten. Musik gab es nicht, nur Tanz. Die Bude wurde allmählich voll. Manche brachten auch Flaschen mit. Zwischendurch rannten wir los, stürmten die Bars und rannten zurück. Die Nacht wurde immer wilder. Ich wünschte, Dean und Carlo wären da, doch dann wurde mir klar, dass sie sich fehl am Platz und unglücklich fühlen würden. Sie glichen dem Mann mit dem Kerkerstein aus dem Dunkel, sie stiegen aus dem sozialen Untergrund auf, die elenden Gammler Amerikas, eine neue geschlagene Generation, in die ich allmählich hineinwuchs.
    Die Burschen vom Chor tauchten auf. Sie stimmten «Sweet Adeline» an, sie schmetterten Arien wie «Gebt mir ein Bier» und «Warum hängst du den Kopf schon aus dem Fenster?» und mächtige lange Bariton-Seufzer «Fi-de-lio!» – «Gott! Welch Dunkel hier», tremolierte ich. Die Mädchen waren phantastisch. Sie kamen mit auf den Hof und knutschten mit uns. In den anderen Zimmern, den staubigen, ungeputzten, waren auch Betten, und ich saß mit einem der Mädchen auf einem und redete auf sie ein, als plötzlich lauter junge Platzanweiser von der Oper eindrangen, die sich die Mädchen griffen und ohne ein ordentliches «Komm doch» abküssten. Betrunkene Teenager, verwirrt und erregt – und sie ruinierten unsere Party. Binnen fünf Minuten waren die Mädchen allesamt verschwunden, und es begann so etwas wie ein großer Vereinsabend, unter dem Klirren von Bierflaschen und dröhnendem Gebrüll.
    Ray, Tim und ich beschlossen eine Runde durch die Bars zu drehen. Major war verschwunden, Babe und Betty waren gegangen. Wir wankten in die Nacht hinaus. Die Opernleute verstopften die Bars von der Theke bis an die Wände. Major brüllte über die Köpfe hinweg. Der beflissene bebrillte Denver D. Doll schüttelte jedem die Hand und sagte: «Guten Nachmittag, wie geht’s?», und als Mitternacht heranrückte, sagte er: «Guten Mittag, wie geht es Ihnen ?» Irgendwann sah ich ihn mit einem Würdenträger entschwinden. Dann kam er mit einer Frau mittleren Alters zurück. Im nächsten Moment unterhielt er sich mit zwei jungen Platzanweisern auf der Straße. Dann plötzlich schüttelte er mir die Hand, ohne mich wiederzuerkennen, und sagte: «Frohes neues Jahr, mein Junge.» Er war nicht vom Schnaps betrunken, nur berauscht von dem, was er liebte – wimmelnde Menschenmengen. Jeder kannte ihn. «Frohes neues Jahr», rief er und manchmal «Fröhliche Weihnachten». Er rief das dauernd. An Weihnachten rief er wohl «Fröhliche Ostern».
    In der Bar war ein Tenor, der von allen mit großem Respekt behandelt wurde; Denver Doll wollte unbedingt, dass ich ihn kennenlernte, und ich versuchte es zu vermeiden; er hieß D’Annunzio oder so ähnlich. Seine Frau war bei ihm. Die beiden saßen säuerlich an einem Tisch. An der Bar stand ein argentinischer Tourist. Rawlins rempelte ihn weg, um Platz zu schaffen; der Argentinier drehte sich um und schimpfte drauflos. Rawlins drückte mir sein Glas in die Hand und schlug ihn mit einem Schwinger auf das Messinggeländer der Theke nieder. Der Mann war einen Moment bewusstlos. Man hörte Schreie. Tim und ich schafften Rawlins schleunigst hinaus. Das Durcheinander war so groß, dass der Sheriff sich nicht einmal einen Weg durch die Menge bahnen konnte, um an das Opfer heranzukommen. Niemand kannte Rawlins mit Namen. Wir gingen in andere Bars. In einer dunklen Straße kam Major uns entgegengewankt. «Verdammt, was ist los? Schlägerei? Ihr könnt auf mich zählen!» Großes Gelächter tönte von allen Seiten. Was mochte der Geist der Berge denken, fragte ich mich und blickte hinauf. Ich sah die Strauchkiefern im Mondlicht schimmern, sah die Gespenster alter Bergleute und wunderte mich nicht. Am ganzen Ostwall der großen Wasserscheide herrschte Stille

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