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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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eine gelernte Pflückerin, Johnny kleine, kindliche Häufchen. Bekümmert sackte ich sie ein. Was war ich für ein Familienvater, dass ich nicht einmal mich selbst ernähren konnte, geschweige denn die Meinen? Den ganzen Nachmittag blieben sie bei mir. Als die Sonne rot unterging, stapften wir alle zusammen davon. Am Rande des Felds lud ich meine Last auf eine Waage; es waren fünfzig Pfund, und ich hatte eins fünfzig verdient. Ich borgte mir von einem der Wanderarbeiterjungen ein Fahrrad und fuhr auf dem Highway 99 zu einem Laden an der Kreuzung, wo ich Spaghetti mit Fleischklößchen in der Dose und Brot, Butter, Kaffee und Kuchen kaufte, und radelte zurück, mit der Einkaufstüte auf der Lenkstange. Autos in Richtung L. A. sausten mir entgegen. Autos in Richtung Frisco saßen mir im Nacken. Ich fluchte und fluchte. Ich blickte zum dunklen Himmel auf und flehte zu Gott um ein besseres Los im Leben und eine bessere Chance, für die guten Menschen, die ich liebte, etwas zu tun. Doch dort oben hörte niemand mir zu. Ich hätte es wissen sollen. Terry war es, die meine Seele zurück auf die Erde holte. Auf dem Ofen im Zelt wärmte sie das Essen, und es war eine der köstlichsten Mahlzeiten meines Lebens, so hungrig und müde war ich. Ächzend wie ein alter Plantagen-Schwarzer ließ ich mich aufs Bett sinken und rauchte eine Zigarette. Hunde bellten in der kühlen Nacht. Rickey und Ponzo hatten es aufgegeben, abends vorbeizukommen. Ich war zufrieden. Terry kuschelte sich neben mich, Johnny hockte auf meiner Brust, und sie kritzelten Tierbildchen in mein Notizbuch. Licht fiel aus unserem Zelt auf die harte Erde dort draußen. Cowboymusik wimmerte vorn im Rasthaus und schwebte über die Felder, nichts als Traurigkeit. Mir war alles recht. Ich küsste meine Liebste, und wir löschten das Licht.
    Am Morgen dellte der Tau das Zeltdach ein; ich stand auf und ging mit Handtuch und Zahnbürste zur Gemeinschaftstoilette des Motels, um mich zu waschen; als ich zurückkam, zog ich meine Hose an, die vom Knien auf der Erde schon ganz zerschlissen und abends von Terry geflickt worden war, setzte meinen ramponierten Strohhut auf, der ursprünglich als Johnnys Spielzeughut gedient hatte, und überquerte mit meinem leinenen Baumwollsack den Highway. Jeden Tag verdiente ich ungefähr anderthalb Dollar. Das reichte gerade, um am Abend mit dem Fahrrad Lebensmittel einzukaufen. So rollten die Tage dahin. Ich vergaß den Osten, vergaß Dean und Carlo und die verdammte Straße. Johnny und ich spielten die ganze Zeit. Er mochte es, wenn ich ihn hoch in die Luft warf und aufs Bett fallen ließ. Terry saß da und flickte meine Sachen. Ich war ein Mann der Erde, genau wie ich’s mir in Paterson einst erträumt hatte. Leute sagten, Terrys Mann sei wieder in Sabinal und hinter mir her; ich war bereit. Eines Abends drehten die Wanderarbeiter im Rasthaus durch und fesselten einen Mann an einen Baum und schlugen ihn mit Knüppeln zu Matsch. Ich schlief zu der Zeit und hörte nur hinterher davon. Von da an nahm ich immer einen großen Stecken mit ins Zelt, für den Fall, dass die Kerle auf die Idee kamen, wir Mexikaner würden ihr Trailer-Camp beschmutzen. Natürlich hielten sie mich für einen Mexikaner – und in gewisser Weise bin ich einer.
    Jetzt aber war Oktober, und in den Nächten wurde es deutlich kälter. Die Wanderarbeiterfamilie hatte einen Holzofen und war entschlossen, den Winter über zu bleiben. Wir hatten nichts, und außerdem war die Miete fürs Zelt fällig. Terry und ich kamen unter Tränen zu dem Schluss, dass wir fort mussten. «Geh zu deiner Familie zurück», sagte ich. «Um Gottes willen, du kannst doch nicht mit einem kleinen Kind wie Johnny bei den Zelten herumhängen. Er friert, der arme kleine Knirps.» Terry weinte, weil sie meinte, dass ich ihre mütterlichen Instinkte angezweifelt hätte. Das lag mir fern. Als Ponzo an einem grauen Nachmittag mit dem Lastwagen kam, beschlossen wir, ihre Familie zu besuchen und die Situation zu klären. Aber ich durfte mich nicht blickenlassen und sollte mich im Weinberg verstecken. Wir brachen auf nach Sabinal; der Lastwagen hatte eine Panne, und im gleichen Moment fing es wie wild an zu regnen. Fluchend saßen wir in dem alten Laster. Ponzo stieg aus und mühte sich ab, im Regen. Er war ein guter Kerl, trotz allem. Und so versprachen wir einander noch ein letztes großes Besäufnis. Und schon zogen wir los, in eine schäbige Bar im Mexikanerviertel von Sabinal, wo wir eine Stunde

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