Unterwegs
lang den Gerstensaft schlürften. Meine Pflichten auf dem Baumwollfeld lagen hinter mir. Ich spürte den Sog meines eigenen Lebens, das mich zurückrief. Ich jagte wieder eine Postkarte an meine Tante quer durch das Land und bat noch einmal um fünfzig Dollar.
Wir fuhren zur Hütte von Terrys Familie. Sie lag an der alten Straße, die sich zwischen den Weinbergen dahinzog. Als wir ankamen, war es dunkel. Sie setzten mich einen halben Kilometer vorher ab und fuhren bis vor die Tür. Aus der Tür drang Licht; die sechs anderen Brüder von Terry spielten Gitarre und sangen. Der Alte trank Wein. Über den Singsang hinweg hörte ich Geschrei und Streit. Sie nannten sie eine Hure, weil sie ihren nichtsnutzigen Mann verlassen hatte und nach L. A. gegangen war und Johnny bei ihnen zurückgelassen hatte. Der Alte brüllte. Aber die traurige fette braune Mutter setzte sich durch, wie sie es immer tut bei den großen Fellachenvölkern dieser Welt, und Terry durfte wieder nach Hause kommen. Die Brüder stimmten fröhliche, schnelle Lieder an. Ich duckte mich in dem kalten Regenwind und beobachtete alles, über die trostlosen Oktoberweingärten im Tal hinweg. Meine Seele war erfüllt von dem großartigen Song «Lover Man», wie Billie Holiday ihn singt, und so hatte ich im Gebüsch mein eigenes Konzert. «Someday we’ll meet, and you’ll dry all my tears, and whisper sweet, little things in my ear, hugging and a-kissing, oh, what we’ve been missing, Lover Man, oh, where can you be …» Es sind nicht so sehr die Worte, sondern die großartige harmonische Melodie, und wie Billie sie singt – wie eine Frau, die in sanftem Lampenlicht ihrem Mann übers Haar streicht. «Oh, Lover Man, wo magst du sein, eines Tages seh’n wir uns wieder und du wirst alle meine Tränen trocknen …» Der Wind heulte. Mir wurde kalt.
Terry und Ponzo kamen zurück, und wir klapperten in dem alten Laster los, um Rickey abzuholen. Rickey wohnte inzwischen bei Ponzos Frau, Big Rosey; in schäbigen Seitengassen hupten wir nach ihm. Big Rosey warf ihn hinaus. Alles geriet in Auflösung. In dieser Nacht schliefen wir im Lastwagen. Terry hielt mich natürlich fest und sagte, ich solle nicht gehen. Sie sagte, sie würde bei der Weinlese arbeiten und genug Geld für uns beide verdienen, inzwischen könne ich in der Scheune des Farmers Heffeldinger unterkommen, nur ein paar Schritte weiter an der Straße, wo ihre Familie wohnte. Ich müsse nichts anderes tun, als den ganzen Tag im Gras zu sitzen und Weintrauben zu essen. «Gefällt dir das?»
Am Morgen kamen ihre Vettern mit einem anderen Lastwagen, um uns abzuholen. Plötzlich wurde mir klar, dass Tausende von Mexikanern überall im Land von Terry und mir wussten und dass es für sie alle eine pikante Liebesgeschichte gewesen sein musste. Die Vettern waren sehr höflich und sogar charmant. Ich stand auf dem Lastwagen, machte lächelnd Scherze und erzählte, wo wir im Krieg gewesen waren und was damals los gewesen war. Alles in allem waren es fünf Vettern, und jeder Einzelne war nett. Anscheinend gehörten sie zu einem Zweig von Terrys Familie, der nicht so viel Lärm und Unruhe machte wie ihr Bruder. Aber ich liebte diesen unbändigen Rickey. Er schwor, er werde zu mir nach New York kommen. Ich stellte ihn mir vor, in New York, wie er alles auf mañana verschob. An diesem Tag lag er irgendwo betrunken auf den Feldern.
An der Kreuzung sprang ich vom Lastwagen ab, und die Vettern brachten Terry nach Hause. Vom Hauseingang aus gaben sie mir ein Zeichen: Vater und Mutter waren nicht da, sie waren beim Traubenpflücken. Also war die Bude am Nachmittag sturmfrei. Es war eine Hütte von vier Zimmern; ich konnte mir nicht vorstellen, wie die ganze Familie es schaffte, dort zu wohnen. Fliegen kreisten über dem Ausguss. Es gab keine Fliegengitter an den Fenstern, genau wie in dem Song: «The window she is broken and the rain she is coming in.» Terry war jetzt zu Hause und machte sich an den Töpfen zu schaffen. Ihre zwei Schwestern sahen mich kichernd an. Die kleinen Kinder kreischten auf der Straße.
Als die Sonne rot durch die Wolken meines letzten Nachmittags im San Joaquin Valley brach, führte mich Terry zum Stall des Farmers Heffeldinger. Farmer Heffeldinger hatte weiter draußen an der Straße eine ertragreiche Farm. Wir rückten Obstkisten zusammen, sie brachte Decken aus dem Haus und ich war gemütlich eingerichtet, bis auf eine große haarige Tarantel, die oben im Giebel des Scheunendachs
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