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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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Oktoberlicht im Valley und hoffte, ein Güterzug der Southern Pacific käme vorbei, damit ich mich den Weintrauben essenden Landstreichern anschließen und mit ihnen Comics lesen könnte. Es kam kein Güterzug. Ich lief zum Highway hinaus und bekam sofort einen Lift. Es war die schnellste, tollste Fahrt meines Lebens. Der Fahrer spielte Geige bei einer kalifornischen Cowboy-Band. Er hatte ein nagelneues Auto und fuhr hundertdreißig Stundenkilometer. «Ich trinke nicht beim Fahren», sagte er und reichte mir eine Flasche. Ich nahm einen Schluck und hielt ihm die Flasche hin. «Zum Teufel», sagte er und trank. Wir schafften es von Sabinal nach L. A. in der erstaunlichen Zeit von glatten vier Stunden, eine Strecke von 250 Meilen. Er setzte mich direkt vor den Studios der Columbia Pictures in Hollywood ab; gerade rechtzeitig, damit ich reinlaufen und meine abgelehnte Drehbuchvorlage abholen konnte. Dann kaufte ich mir mein Busticket nach Pittsburgh. Ich hatte nicht mehr genug Geld, um bis New York durchzufahren. Aber darüber, sagte ich mir, wollte ich mir erst Sorgen machen, wenn ich in Pittsburgh war.
    Der Bus fuhr um zehn. Ich hatte also vier Stunden Zeit, um mir Hollywood allein anzusehen. Zuerst kaufte ich mir einen Laib Brot und eine Salami und machte mir zehn Sandwiches, die für die Fahrt quer durch das Land reichen sollten. Ich hatte noch einen Dollar. Ich saß auf der flachen Betonmauer hinter einem Parkplatz in Hollywood und schmierte die Sandwiches. Während ich mich mit dieser absurden Aufgabe abmühte, bohrten sich die mächtigen Scheinwerfer einer Hollywood-Premiere in den Himmel, diesen summenden Westküstenhimmel. Rings um mich herum waren die Geräusche der verrückten Goldküstenstadt. Und dies war meine ganze Hollywood-Karriere – es war mein letzter Abend in Hollywood, und ich hockte hinter einem Parkplatzklo und strich Senf auf die Sandwiches auf meinen Knien.

vierzehn
    Im Morgengrauen sauste der Bus durch die Wüste von Arizona – Indio, Blythe, Salome (wo sie tanzte); die weiten dürren Landstriche, die zu den Bergen Mexikos im Süden führten. Dann schwenkten wir nordwärts auf die Berge von Arizona zu – Flaggstaff, Felsennester. Ich hatte ein Buch dabei, das ich in Hollywood aus einem Ständer geklaut hatte, «Le Grand Meaulnes» von Alain-Fournier, aber ich zog es vor, im Vorbeifahren die amerikanische Landschaft zu lesen. Jedes Schlagloch, jede Steigung und jede flache Strecke verzauberte meine Sehnsucht. In tintenschwarzer Nacht durchquerten wir New Mexico; in der grauen Morgendämmerung war es Dalhart, Texas; am trüben Sonntagnachmittag rollten wir in Oklahoma durch eine kleine Stadt nach der andern; bei Anbruch der Nacht ging es durch Kansas. Der Bus brummte weiter. Es war meine Heimkehr im Oktober. Jeder fährt im Oktober nach Hause.
    Gegen Mittag trafen wir in St. Louis ein. Ich machte einen Spaziergang am Mississippi und betrachtete die Baumstämme, die aus Montana im Norden angeschwommen kamen – große odysseische Blöcke aus unserem kontinentalen Traum. Alte Dampfschiffe, das verschnörkelte Holz vom Wetter noch weiter verschnörkelt und verwittert, lagen im Schlick, wo die Ratten hausten. Mächtige Nachmittagswolken türmten sich über dem Mississippi Valley. Der Bus brauste in dieser Nacht über die Maisfelder Indianas; das Mondlicht beleuchtete die geisterhaft aufgehäuften Kolben; es war beinahe ein Halloween-Spuk. Ich schloss Freundschaft mit einem Mädchen, und wir schmusten den ganzen Weg bis Indianapolis. Sie war kurzsichtig. Als wir ausstiegen, um etwas zu essen, musste ich sie an der Hand zur Imbisstheke führen. Sie bezahlte für mich; meine Sandwiches waren alle aufgegessen. Als Gegenleistung erzählte ich ihr lange Geschichten. Sie kam aus Washington State, wo sie den Sommer lang Äpfel gepflückt hatte. Zu Hause war sie auf einer Farm Upstate New York. Sie lud mich ein, zu ihnen heraufzukommen. Auf jeden Fall machten wir einen Tag aus, an dem wir uns in einem New Yorker Hotel wiedersehen wollten. In Columbus, Ohio, stieg sie aus, und ich schlief die ganze Strecke bis Pittsburgh. Ich war müde wie seit Jahren nicht mehr. Ich musste noch sechshundert Kilometer bis nach New York trampen und hatte noch zehn Cent in der Tasche. Acht Kilometer ging ich zu Fuß, um aus Pittsburgh herauszukommen, und zwei Lifts, erst ein Apfel-Laster, dann ein großer Trailer-Truck, brachten mich in der milden Regennacht des Altweibersommers nach Harrisburg. Ich zog gleich weiter.

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