Unterwelt
Er hieb derart zu, daß ich halb taumelnd rückwärts geschleudert wurde, direkt aus seinem Griff um meine Schultern heraus, und der Typ kam mit dem Wagen an und schaute uns zu.
Der Schmerz war elektrisierend und kompakt, reduzierte alles auf die ihm eigene Form der Benommenheit, ließ die Welt jenseits meines Kopfes klein und gelähmt erscheinen.
Das machten wir, wir schalteten um auf Nahaufnahme, eliminierten alles außer Rammen und Starren und Schmerz.
Als er mich wieder rammte, bewegte ich den Kopf, zog ihn sacht einen halben Zentimeter zurück, um den Schlag vielleicht etwas abzumildern, und er reckte das Kinn vor und starrte.
Schmerz ist nur eine andere Form der Information.
Wir stießen noch einmal die Köpfe gegeneinander, jeder einmal, und der Typ stand mit den Autoschlüsseln da und schaute zu.
In meinem Hotelzimmer sah ich in den Spiegel über dem Waschbecken. Ich legte beide Hände an die Wand und beugte mich zum Spiegel vor und sah Prellungen und Striemen, tiefe Verfärbungen und ein Rinnsal getrockneten Blutes mit einer weinfarbenen Rötung ringsum. Ich säuberte die Wunden mit kaltem Wasser, dann ging ich ins Bett. Aber kaum lag mein Kopf auf dem Kissen, wurde mir schwindlig, und ich mußte mich eine Stunde lang in einen Sessel setzen, bevor dieses Gefühl verging.
Die Sache kehrte immer wieder, und ich versuchte hineinzukommen in die Erschütterung, wie unsere Gesichter gleichsam doppelbelichtet über den Eiswürfeln in unseren Drinks hingen, mal ins Unscharfe verrutscht, dann wieder zurück – nicht, um meine eigenen Gefühle zu entwirren, sondern um die verborgenen Auslöser der Erfahrung zu begreifen, die kleinen Kuhlen und Kurven, die einen Seelenzustand ausmachen.
Wir joggten durch versmogte Hohlwege, vorbei an Häusern, die über schroffen Schluchten thronten, wir joggten in bewaldete Gebiete hinein, die wie Zunder aussahen, eine trockene, weiße, staubige Stille, ein Gefühl von lauernder Entzündlichkeit, aber vielleicht auch nicht – womöglich entwarf ich gerade meine eigene Wochenschau.
»Was hört man von der Leiche im Klärschlamm?«
»Sie finden einfach keine. Mit der Leiche haben sie mal wieder ausgeschmückt, sonst nichts«, sagte er. »Das Schiff selbst ist die eigentliche Sache.«
»Was ist damit?«
»Ein Schiff, das zwei Jahre lang auf hoher See fährt und ständig Namen und Mannschaften wechselt – das ist auch bloß eine Geschichte. Das Schiff hat in letzter Zeit eine einzige Fahrt gemacht, von der Ostküste zur Westküste. Eine Ladung Klärschlamm nach Kalifornien, an eine Düngemittelfirma. Eine ganz gewöhnliche Lieferung.«
Wir liefen über Stadtstraßen, landschaftsgestaltete Alleen mit einer etwas verfallenen Aura, einer Angestaubtheit, die hinreißend war in ihrer offenkundigen Wehmut.
»Schau mal, Sims, es geht um folgendes.«
»Komm, wir laufen«, sagte er.
»Ich weiß nicht. Ich bin ein bißchen, und ich weiß, das sollte ich zu jemandem wie dir gar nicht sagen.«
»Du liebst doch deine Kinder, oder?«
»Na klar.«
»Dann lauf«, sagte er.
»Manchmal hab ich fast das Gefühl, also, da denke ich, so sehr ich sie alle liebe, ich bin doch bloß ein Hochstapler. Weil es nie, verdammt noch mal nie etwas gewesen ist, womit ich mich wohlfühle.«
Wir standen in der Küche, erledigt von vielen Meilen Hügeln und heißem Pflaster, vermieden vorsichtig jede Bewegung, um nur ja keinen Schweiß auf irgendwas tropfen zu lassen, zwei Männer in Shorts, und Greta gab uns ein Glas Wasser, eine braunhaarige Frau mit langen Händen und einer halb verborgenen Verhärmtheit, einer Art hagerer, eckiger Wesensart – eine Röntgenbild-Greta, die vermutlich im Streit oder Streß zum Vorschein kam.
»Gefällt es Ihnen hier?« fragte ich.
»Mir kommt es vor wie am Ende der Welt. Seit vier Jahren sind wir hier, und ich wache jeden Morgen auf und versuche mich zu erinnern, wo ich bin. So weit weg von allem.«
»Wir haben«, sagte Sims, »einen sehr großen Ozean im Rücken.«
Und der Sohn, der Fünfjährige, saß mit seiner Cornflakes-Schüssel und einem übergroßen Löffel am Tisch, Loyal Branson Biggs, ein Junge, so sanft gutaussehend, so mühelos mit ausdrucksvoller Schönheit gesegnet, daß ich die Augen nicht von ihm lassen konnte, ich schaute ihn an, während ich mit seinen Eltern sprach, und sie schauten ihn auch an, schauten, weil ich schaute – ich brachte sie dazu, von neuem über dieses Kind zu staunen.
»Was ist mit Ihrem Gesicht passiert?« fragte mich
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