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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Begriff, den wir in der Volksschule gelernt haben, ein Begriff aus dem Osten drüben, abgeleitet von dem Ort, wo diese Planwagen zuerst hergestellt wurden.
    Der Raum war so gut wie leer, und sie spielten Blues.
    »Sei nett zu ihr«, sagte ich. »Geh nach Hause, sprich mit ihr, du mußt ein bißchen schöntun. Kennst du das? Schöntun. Ist das benutzt worden, als du ein Negerkind in Saint Louis warst, Sims ?«
    »Die sind wegen der Volkszählung gekommen.«
    »Ja und?«
    »Und meine Mutter hat gesagt, ich soll mich verstecken.«
    »Wozu?«
    »Wozu. Darum geht's doch. Ich wußte nicht wozu. Sie dachte, was weiß ich, was sie dachte. Ich ging mich verstecken, ja. Zwei Leute an der Tür, mit Klemmbrettern. Sie sagte, Geh rein, bleib unten.«
    »Bleib unten.«
    »Sie sagte, Bleib unten. Ich weiß nicht, was ich dachte, und ich weiß nicht, was sie dachte.«
    »Es war doch nur die Volkszählung.«
    »Sag nicht nur die Volkszählung.«
    »Du sagst mir, ich kriege ein paar graue Haare. Und ich soll verstehen, wieso das schlimmer ist als Vollglatze.«
    »Weil es in meiner Geschichte liegt, in meiner Familie«, sagte er. »Von mir wird angenommen, daß ich kahl werde. Erwartet. Bleib unten, sagte sie.«
    »Bleib unten.«
    »Glaubst du an die Volkszählung, Nick?«
    Er saß da, mit gelockerter Krawatte und zerknittertem Jackett, zündete sich die immer wieder erlöschende Zigarre an, und über seiner vorgestreckten Unterlippe war ein Strich Sonnenuntergangsrosa zu sehen.
    »Was soll ich darauf sagen? Ja, ich glaube daran. Nein, ich glaube nicht daran.«
    »Du sollst sagen, was du glaubst.«
    »Ich merke, wir betreten gerade heikles Terrain.«
    »Was glaubst du?« sagte er.
    »Ich glaube an die Volkszählung. Warum sollte ich das nicht tun ?« Er warf mir einen drohenden Blick zu, richtig angespannt. »Du glaubst daran.«
    »Warum sollte ich das nicht tun?«
    »Du glaubst an die Zahlen. Du glaubst zum Beispiel, daß es nur fünfundzwanzig Millionen Schwarze in Amerika gibt.«
    »Warum sollte ich das nicht tun?«
    »Du glaubst es also.«
    »Wenn das die Zahl ist, ist es die Zahl.«
    »Und du meinst nicht, sie spielen die wahre Zahl vielleicht etwas herunter?«
    »Halt mal.«
    »Du meinst nicht.«
    »Halt halt halt halt stop.«
    »Denk drüber nach«, sagte er.
    Er zupfte an seinem Hemd, er machte etwas, das schwere Männer tun, er benutzte beide Hände, um sein Hemd von der Brust wegzuziehen, und schüttelte es, fast geziert, ließ seinen Oberkörper atmen.
    »Sims, du und ich.«
    »Denk einfach drüber nach.«
    »Wir sind nicht, weißt du noch, wir haben kein Wort, du und ich, für die Wissenschaft von den dunklen Mächten. Für das, was hinter einem Ereignis steckt. Wir akzeptieren dieses Wort nicht, und diese Wissenschaft ebensowenig. Erinnerst du dich an das Gespräch?«
    »Jetzt ist ein anderes Gespräch. Und in diesem Gespräch sage ich, Denk drüber nach.«
    »Aber du und ich. Wir schwimmen gegen den Strom, Sims. Mit dem Strom, das ist leicht, das ist verantwortungslos. Wir sind verantwortungsbewußte Männer. Wir haben dies aufgebaut. Wir glauben nicht, daß es geheime Kräfte gibt, die unser Leben unterminieren.«
    »Dreißig Millionen betroffen von deinem regionalen Blackout. Aber nur fünfundzwanzig Millionen, behaupten die, Schwarze in dem ganzen Riesenland.«
    »Wenn das die Zahl ist, ist es die Zahl.«
    »Und mehr fällt dir nicht ein. Wir haben hier ein Thema, das schreit nach, aber wirklich, genauer Untersuchung, um mal einen deiner Ausdrücke zu benutzen.«
    »Na los, dann untersuch es doch genauer.«
    »Du bist bereit, diese Zahl zu akzeptieren.«
    »Fünfundzwanzig Millionen. Ja, warum nicht?«
    »Du findest nicht, daß diese Zahl viel zu niedrig ist?«
    »Fünfundzwanzig Millionen ist so niedrig nicht. Immerhin sind das fünfundzwanzig Millionen«, sagte ich.
    »Du findest nicht, daß diese Zahl absolut unterschätzt ist.«
    »Warum sagst du, genaue Untersuchung sei mein Ausdruck?«
    »Weil du ihn benutzt hast.«
    »Damit wird er zu meinem Ausdruck?«
    »Ich hab ihn nicht benutzt. Du hast ihn benutzt.«
    »Ich glaube die Zahl. Für mich ist das eine glaubwürdige Zahl.«
    »Du meinst nicht, irgendwer hätte Angst, wenn die wahre Zahl an die Öffentlichkeit kommt, kriegen die Weißen weiche Knie, und die Schwarzen blähen sich alle auf vor lauter, Hey, wir müßten aber noch mehr hiervon und davon und überhaupt mehr kriegen.«
    »Du und ich«, sagte ich.
    »Du meinst nicht, die Zahl ist um vielleicht vierzig

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