Unterwelt
Ein paar Bauten, die wie Wohnwagen aussehen, ein paar Basketballfelder, und schließlich entdeckst du einen Eingang, du öffnest die Stahltür und gehst die Treppe runter, unten massenweise Beton und Stahl, das Licht ist ein bißchen gespenstisch. Die Klassenzimmer, die Schlafsäle, die Konservendosen, das Leichenschauhaus. Keine kaputten Scheiben in den Fenstern. Das gehört zu den Vorzügen. Denn es gibt natürlich gar keine Fenster. Aber eigentlich geht es darum. Worum geht es eigentlich, Matty?«
»Ich weiß es nicht. Sag's mir.«
»Haben sie all das gemacht, um die Kinder vor sowjetischen Bomben zu schützen oder vor unseren eigenen Bomben und deren Fallout?«
»Ich weiß nicht. Beides. Was hast du den Kindern gesagt?«
»Ich habe in Zungen geredet«, sagte Eric. »Ich meine, denk doch mal drüber nach. Da stehe ich am Nordrand einer großen Wüste in einem unterirdischen Raum, mit Filtersystemen für radioaktiven Fallout und einem voll eingerichteten Leichenschauhaus, und über der Tafel hängen Buntstiftzeichnungen von Schweinchen und Kühen. Übrigens.«
»Was?«
»Ich habe ein Schachspiel in meinem Zimmer. Lust auf eine Partie?«
Die Tasche war eine jener netten, engen Gemeinschaften, die die Welt ersetzen. Sie war die Welt, persönlich gestaltet und durchweg interessant, denn sie bestand nur aus dem, was man tat, man selbst und andere wie man selbst, sie war von sich selbst umgeben, auf sich selbst bezogen, und man tat alles gemeinsam, an einem Ort und in einer Sprache, die anderen nicht zugänglich waren.
Janet Urbaniak war Matts Freundin, eine ausgebildete Krankenschwester. Sie hatten eine ernsthafte Hin-und-wieder-Beziehung, öfter wieder als hin, sie waren oft ungeduldig miteinander, aber immer fest verbunden, eines jener schicksalhaften Paare, die geboren wurden, um sich zu begegnen und zu streiten.
Er rief Janet an ihren freien Tagen an, und sie erzählte ihm, wo sie gewesen war, was sie gesehen oder gekauft hatte und mit wem und wie lange, und er hörte zu und gab Kommentare ab und fragte nach Einzelheiten.
Sie arbeitete jetzt im Not-OP. Sie erzählte ihm von ihren Nachtdiensten, aber er sagte fast nichts über seine Arbeit, und natürlich verstand sie das und bohrte nicht weiter.
Janet telefonierte zweimal die Woche mit seiner Mutter, um zu erfahren, wie es ihr ging, dann rief sie Matt an, um Bericht zu erstatten, darauf rief Matt seine Mutter an, um alles zu bestätigen, um die Einzelheiten eines Wehwehchens oder eines Schmerzes zu klären, und er mochte all diese Anrufe, die einen, die er machte, und die anderen, von denen er hörte – so war die Tasche nicht sein ganzes Leben.
Er fuhr mit seinem geliehenen Jeep an einer allein dastehenden Protestlerin vorbei, einer Frau, die sich abmühte, ihr Transparent in dem trockenen, steifen Wind, der über die Ebene fegte, aufrecht zu halten. Er wollte anhalten und mit ihr reden. Ihr helfen, ein bißchen plaudern. Er wollte zeigen, daß er ihrem Standpunkt mit Toleranz begegnete, wollte sich gestatten, einige ihrer Argumente überzeugend zu finden, scharfsinnig selbst ein paar Dinge klarstellen und sie dann zu dem gesichtslosen Zimmer fahren, in dem sie wohnte, am Rand von dieser oder jener Stadt, mit teilweise verbauter Aussicht auf die Berge, für ein bißchen sanften, stöhnenden und beiderseits toleranten Sex auf ihrem zerwühlten Bett, aber er verlangsamte das Tempo nur ein wenig beim Vorbeifahren.
Später erzählte ihm jemand, die Protestler wohnten in einem abgewrackten Schulbus in den Sacramento Mountains. Matt fand das irgendwie gut. Er mochte die Vorstellung, daß jemand alles hinter sich ließ, um eine Idee zu verfolgen. Er dachte an Schwester Edgar, wie sie in der sechsten Klasse von Wüstenheiligen sprach, von Säulenheiligen, Styliten, wie sie sich auf ihren Schreibtisch hievte und unter dem Habit die Beine kreuzte, eine Heilige im Lotussitz auf einer Säule im Sinai, und sie sprach in lateinischen und hebräischen Brocken zur Klasse, und er erinnerte sich daran, daß es ihm gefallen hatte – er stellte sich gern eine von Gott erleuchtete Gruppe Wanderer vor, die alle Testgebiete und Bombensilos im Westen heimsuchte.
Das war einer der Gründe gewesen, warum er ursprünglich hergekommen war. Wegen der Fragen, der Herausforderungen. Wegen der Selbsterkenntnis, die er vielleicht in einem härteren Leben finden konnte, durch die bewußte Festlegung von Grenzen.
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