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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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peppt die Linie auf. Dies war sein neuestes Werk, hier fuhr er also Richtung uptown mit dem Washington-Heights-Local, jeder Wagen mit seinem eigenen Neon-Zoom signiert, mit Hervorhebungen und überlappenden Buchstaben und 3-D-Effekt, dem ganzen wildstyle- Ding , bei dem du aus deinem Namen und der Nummer deiner Straße eine Art Alphabet City machst, wo die Farben sich ineinanderschieben und bluten, die Buchstaben überlappen, und alles swingt und springt, hüpft und schreit – selbst die Spritzer sind Absicht, superscharf gemalt, um auszudrücken, wie die Buchstaben schwitzen, wie sie leben und atmen und essen und schlafen, sie tanzen und spielen Sax.
    Das war nicht bloß fensterabwärts. Das war ein komplett bemalter Zug, die Fenster übersprayt und jeder Buchstabe, jede Zahl größer als ein Mann.
    Moonman 157.
    Ismael war sechzehn, nicht zu alt und nicht zu jung, und er war wild entschlossen, jeden U-Bahn-Künstler der Stadt fertigzumachen.
    Keiner konnte ihm was.
    Und er saß da in seiner Khakijacke, die Augen immer in Bewegung, und wartete darauf, daß irgendeiner etwas sagte, das ihn aufbaute.
    Er wußte, er wurde langsam berühmt. Er hatte inzwischen schon Nachahmer, ein paar Schlappschwänze, die ihn in seinem eigenen Revier auskaisern wollten. Einen haben neulich die Saubermänner von der Streife erwischt und dazu verknackt, Graffiti mit einer Orangensaftmixtur von den Bahnhofswänden zu schrubben, in dem Saft ist nämlich eine Säure drin, die Farbe wegfrißt.
    Geschieht dem Schwuli recht, wenn er meinen Stil abkupfert.
    Und er saß da mit seinem länglichen Gesicht und den schiefen Zähnen, dem Sorgenkopf eines alten Mannes, und er musterte die Bahnsteigleute in jeder Station. Die reagierten auf den Zug, ihre Köpfe machten wow. Paar schockierte Blicke auch, da hat wer die Hölle auf Rädern gesehen, aber die meisten Augen sagen ja, die Gesichter öffnen sich. Und er musterte die Fahrgäste beim Hereinschlurfen, einige mit Regenschirmen, andere mit versteckten Waffen und mit Kaugummipapieren und Telefonnummern und zerknüllten Kleenex und um die Hausschlüssel gewickelten Taschentüchern, alles zusammengewurschtelt auf ihren Mulattenkörpern, denn in der U-Bahn, da vermischen sich die Rassen.
    Unbekannter Held der Linie, so kam er sich vor, in einem Zug, den er ganz und gar signiert hatte. Und nun leuchtete er wie eine Comicfigur. Hey, da ist Moonman, mitten unter uns.
    Einmal stand ein Mann auf dem Bahnsteig und fotografierte einen von Moonmans top-to-bottoms, dem Aussehen nach ein Ausländer, und Ismael schlängelte sich zur offenen Tür, damit er mit aufs Bild kam, ohne daß der Mann es wußte. Der Mann fotografierte das Werk und den Künstler und hatte keine Ahnung davon, sah nach Schweden aus oder so.
    Bei Moonmans Graffiti ging es darum, daß seine Buchstaben und Zahlen die Geschichte vom Leben in seinen Straßen erzählte.
    Am Columbus Circle stieg er auf die Broadway-Linie um, weil er am Ende der Linie was zu erledigen hatte. Er erwischte einen Zug, den Skaty 8 innen und außen bombardiert hatte, ein dreizehnjähriger Graffitimaler, der wie ein Wilder Streifenwagen, Leichenwagen, Müllwagen signierte, der seine Krylon-Satin-Farben in die Tunnel mitnahm und die Wände und Laufstege mit seiner Signatur bedeckte, er machte sich über Bahnsteige, Treppen, Drehkreuze und Bänke her, und er würde auch noch deine kleine Schwester signieren, wenn sie vorbeikäme. Kein Superstilist, vergiß es, aber eine Legende unter den Graffitimalern, weil er mit einer Wahnsinnsenergie ranging, seine Sachen kriegten Abermillionen zu sehen, und dann vor zwei Wochen, echtes Bedauern durchzuckte Ismael, als ihm einfiel, wie er's erzählt bekommen hatte, er sackte noch einmal zusammen und hing durch und fühlte die tiefste soldatische Trauer – ein Zug hatte Skaty 8 überrollt, als er downtown-Brooklyn über die Gleise lief.
    Die Leute gingen durch den Wagen, schlitterten auf einen Sitz zu, schauten sich die Werbetafeln über den Köpfen auf der anderen Seite des Gangs an, alles ohne Augenbewegung, selbst das empfindlichste Gerät hätte keine entdecken können.
    Ismael war früher immer über die Gleise gelaufen, wenn er sich selber leid tat. Das waren vergangene Zeiten. Er knackte da eine Notluke auf dem Bürgersteig, kletterte in einen Tunnel runter und machte sozusagen einen Spaziergang, um da unten allein zu sein, die dritte Schiene immer im Blick, die Ohren gespitzt, ob ein Zug kam, und so lernte er die Leute

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